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Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Foto- und Lesebuch über den brasilianischen Amazonas

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National Geografic <strong>und</strong> Belle Époque<br />

Der Regen setzt nie aus, nicht mal sonntags. Kaum<br />

beginnt die Sonne an den Pfützen zu lecken,<br />

türmen sich dramatisch drohend die nächsten<br />

Wolkenwände auf, pechschwarz, himmelhoch<br />

<strong>und</strong> schwer, tonnenschwer. So beladen, dass sie<br />

sich schon bald, n<strong>ein</strong>, jetzt gleich! erleichtern<br />

werden. Aber was soll´s. Das kommerzielle<br />

Zentrum r<strong>und</strong> um den Hafen von Manaus ist wie<br />

ausgestorben, auch wenn der Bus heute nur die<br />

Hälfte des normalen Fahrpreises, nämlich <strong>ein</strong>en<br />

Real, kostet. Von den Tausenden von<br />

Straßenhändlern sind nur die kl<strong>ein</strong>en Baracken<br />

übrig, die roten Plachen gut festgezurrt <strong>und</strong> sicher<br />

verschnürt. Sie malen die von den Regenmassen<br />

sauber gewaschenen <strong>und</strong> glitzernden Bürgersteige<br />

fre<strong>und</strong>licher.<br />

Die zerfallenen Fassaden in ausgewaschenem Rot<br />

der drei, vier ungleichen Gebäude gleich vor mir,<br />

<strong>ein</strong> Teil der Hafenanlage, sehen, ob’s wohl dem<br />

diffusen, grauen Regenlicht zuzuschreiben ist,<br />

heute noch trostloser <strong>und</strong> <strong>ein</strong>samer aus. Die<br />

angefressenen Ränder <strong>und</strong> das Dreckwasser<br />

kaschieren erfolgreich die wirkliche Tiefe der<br />

riesigen Pfütze. Entkomme, pures Glück, der hoch<br />

aufspritzenden Wasserfontäne, in der Kurve vom<br />

unachtsamen Rad des nächsten Busses<br />

hochgeworfen. Fast wäre ich von stinkenden<br />

Abwässern getauft worden, um endlich den<br />

Wachmann in s<strong>ein</strong>er cleanen Uniform um<br />

Erlaubnis zu bitten, denn ich will fotografieren.<br />

Die Gebäude befinden sich am hinteren linken<br />

Ende <strong>ein</strong>er Art Hof, der zum Parkplatz<br />

umfunktioniert wurde. Erlaubnis erhalten, kann<br />

ich näher treten. Springe da über noch <strong>ein</strong>e<br />

Wasserlache voller Bauabfällen <strong>und</strong> Müll. Hier<br />

treibt <strong>ein</strong>e Zeitung im Wasser, <strong>ein</strong>e Dose Bier,<br />

daneben <strong>ein</strong> Plastikbecher. Der Zustand der<br />

Häuserzeile, das erste Gebäude erinnert an <strong>ein</strong>e<br />

fantasievolle Imitation <strong>ein</strong>es Schlösschens aus dem<br />

Mittelalter, erweist sich von Nahem als noch<br />

dramatischer. Vom ehemaligen Glanz ist wenig<br />

übrig geblieben. Die enormen, massiven Blöcke<br />

aus Sandst<strong>ein</strong> des Bürgersteiges, die selben, die als<br />

Gewicht in den Schiffsbäuchen übers Meer kamen,<br />

zeugen von besseren Zeiten. Auch die Vordächer<br />

aus Zinkblech bewahren, auch wenn sie heute nur<br />

die ungezählten, hier abgestellten Ziehkarren der<br />

Lastenträger beschützen, noch <strong>ein</strong>ige ihrer<br />

charmanten viktorianischen Details, spitzige<br />

Lanzen, Dachreiter, filigran, aber aus<br />

unverwüstlichem Eisen geschnitten. Daneben<br />

blättert die gekachelte Hauswand vor sich hin.<br />

Bedauernd bew<strong>und</strong>ere ich die tausenderlei<br />

Details, Mauervorsprünge, Nischen <strong>und</strong> die<br />

typischen kl<strong>ein</strong>en, nur angedeuteten Balkönchen,<br />

jedes mit <strong>ein</strong>em hüfthohen Gitter, eigentlich<br />

<strong>ein</strong>fach bodenlange Balkonfenster im besten<br />

portugiesischen Stil, <strong>ein</strong>s ans andere gereihte<br />

R<strong>und</strong>bogenfenster, die massiven Türen, deren<br />

Farbe leise vor sich hin krümelt. Da, hoch oben im<br />

dritten Stock, wächst gar unbekümmert <strong>ein</strong><br />

Strauch aus dem Fenster. An der Längsseite <strong>ein</strong>e<br />

Emailtafel: Rua Monteiro de Souza <strong>und</strong> darunter<br />

der Name <strong>ein</strong>er Firma, ENASA, Flusstransporte,<br />

Passagiere <strong>und</strong> Fracht. Hier funktionierten, nur<br />

h<strong>und</strong>ert Jahre ist´s her, rappelvolle Lagerhäuser<br />

<strong>und</strong> <strong>ein</strong> florierender Kommerz. Über allem lag<br />

<strong>ein</strong>e penetrant <strong>und</strong> stechend riechende Wolke -<br />

Kautschuk.<br />

Der Wächter erzählt mir, dass es auch <strong>ein</strong>e<br />

Straßenbahnstation gab. Das wiederum erklärt<br />

mir endlich den Zerfall <strong>und</strong> die Dekadenz der<br />

strategisch so gut gelegenen Gebäude, es sind<br />

öffentliche Gebäude oder sie gehören Firmen,<br />

die längst in Konkurs gegangen sind. Leider<br />

sch<strong>ein</strong>t es mal wieder, wie so oft in Brasilien,<br />

<strong>ein</strong>facher zu s<strong>ein</strong>, etwas abzureißen <strong>und</strong> an<br />

derselben Stelle etwas Neues hinzuklotzen,<br />

grandioser, moderner, zeitgemäßer. Das protzige<br />

Hochhaus aus Glas <strong>und</strong> Stahl des Ministeriums<br />

der Fazenda gleich da hinten illustriert das sehr<br />

gut. Schlimmer nur <strong>ein</strong> paar Straßen weiter oben<br />

das Colégio Dom Bosco, <strong>ein</strong>e katholische<br />

Privatschule, dessen grandioser, aber so<br />

unpraktisch <strong>und</strong> unzeitgemäßer Altbau aus der<br />

Belle Époque dem Verfall preisgegeben sch<strong>ein</strong>t,<br />

was noch stärker ins Auge sticht, weil daneben<br />

vom selben Colégio <strong>ein</strong> fensterloser Monsterbau<br />

hochgezogen wurde, <strong>ein</strong> Kultur- <strong>und</strong><br />

Sportzentrum, der mit s<strong>ein</strong>em riesigen<br />

R<strong>und</strong>bogen an <strong>ein</strong>en überdimensionierten<br />

Tempel erinnert.<br />

Wenig rettete sich aus der amazonischen Belle<br />

<strong>Amazonien</strong>, <strong>ein</strong> <strong>Foto</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lesebuch</strong> - <strong>Susanne</strong> <strong>Gerber</strong>-<strong>Barata</strong> 683

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