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Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Foto- und Lesebuch über den brasilianischen Amazonas

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Fremde unter sich<br />

Will gerade <strong>ein</strong>kaufen, hier im Dorf, im lokalen<br />

Wir-haben-fast-alles-Supermarkt, als er mich<br />

anhält. Ein Mann wie viele hier, in Bermudas, Flipflops,<br />

indigene Züge, in der Hand <strong>ein</strong>en großen<br />

Beutel.<br />

- „N<strong>ein</strong>, Marcelo?“ - Durchsuche m<strong>ein</strong>e<br />

Namenslisten im Hinterkopf, vergeblich, vern<strong>ein</strong>e<br />

schulterzuckend. Tut mir leid. N<strong>ein</strong>, den kenne ich<br />

nicht.<br />

Der Dialog war kurz, rudimentär. Trotzdem – er<br />

reicht aus, mich stutzig zu machen. Irgendwie ist<br />

s<strong>ein</strong> Portugiesisch ungewohnt. Nicht, dass er, wie<br />

ich, mit Akzent spricht, n<strong>ein</strong>, es ist etwas Anderes,<br />

Unbekanntes. Es hat mehr mit der Stellung der<br />

Wörter im Satz zu tun…<br />

Schon klärt sich das Mysterium selber auf. Er<br />

suche jenen Marcelo, weil er ihm s<strong>ein</strong><br />

Kunsthandwerk verkaufen wolle. Er sei<br />

M<strong>und</strong>urucu. Marcelo kaufe ihm immer s<strong>ein</strong>e<br />

Waren ab. Portugiesisch ist nicht s<strong>ein</strong>e<br />

Muttersprache.<br />

Kann mich fast nicht zurückhalten, selber <strong>ein</strong>en<br />

Blick auf s<strong>ein</strong> sicher w<strong>und</strong>erschönes Kunsthandwerk<br />

zu werfen. Die M<strong>und</strong>urucus, Zo‘é,<br />

Waiwai sind <strong>ein</strong>er der indigenen Stämme die hier<br />

<strong>ein</strong>e Tagreise oder zwei oder drei hinter <strong>ein</strong>er der<br />

letzten Grenzen leben. Ihr Kunsthandwerk ist<br />

w<strong>und</strong>erschön, f<strong>ein</strong> ziseliert, in unendlicher<br />

Geduldsarbeit erschaffen. Es gibt Leute, die<br />

finden, ich hätte schon <strong>ein</strong> kl<strong>ein</strong>es Museum zu<br />

Hause. So lasse ich ihn also ziehen.<br />

Wir verabschieden uns. Er zückt s<strong>ein</strong> Handy,<br />

spricht hin<strong>ein</strong>. Ich bleibe mit jenem schalen<br />

Nachgeschmack zurück.<br />

Wer von uns beiden ist nun der Fremde, der<br />

Ausländer? Ich, die Ausländerin, oder er, der<br />

Portugiesisch als zweite Sprache spricht <strong>und</strong> s<strong>ein</strong>e<br />

Kunst als Kunsthandwerk an Touristen verkaufen<br />

muss?<br />

Zo’é<br />

Wieder entscheide ich mich dagegen. Habe k<strong>ein</strong>e<br />

Strategie, wie ich ihnen entgegentreten soll.<br />

Verzichte darauf, zwei Mitgliedern der Zo’és,<br />

Mitglieder <strong>ein</strong>er der sozusagen erst gestern<br />

entdeckten Stämme, direkt in die Augen zu<br />

schauen. Nur von Weitem durch den Gartenzaun<br />

betrachte ich ihren langen Keil, den sie, die Frau<br />

<strong>und</strong> der Mann, als Zeichen ihrer Stammeszugehörigkeit<br />

unübersehbar mitten im Kinn tragen.<br />

Der erste Kontakt der Zo’és mit dem Rest der Welt<br />

datiert aus dem Jahr 1987. Die Zo’és gaben dem<br />

Drängen amerikanischer Missionare nach, mit<br />

ihnen in Kontakt zu treten. Die ersten Kontakte<br />

waren fatal. Mitgebrachte Krankheiten<br />

dezimierten den Stamm brutal. 1991 gelang es der<br />

Funai, die Missionare zu entfernen <strong>und</strong> die Zo’és<br />

unter ihren Schutz zu stellen. Bis 2011 wurden sie<br />

komplett abgeschirmt. Heute werden, <strong>ein</strong> Wechsel<br />

der Doktrin, punktuelle Kontakte mit der<br />

Zivilisation unterstützt. Heute wächst der Stamm<br />

wieder <strong>und</strong> hat im Moment fast 250 Mitglieder.<br />

Zwei sind nun also hier, begleitet von <strong>ein</strong>em<br />

Verantwortlichen der Funai, der auch ihre<br />

Sprache radebrecht, um selbstgewählte Kontakte<br />

mit der Zivilisation aufzunehmen. Sie wollten<br />

Kunsthandwerk verkaufen <strong>und</strong> anderes.<br />

Irgendwann vielleicht wird <strong>ein</strong>er ihrer Mitglieder<br />

an der hiesigen Universität studieren. Für alle<br />

Beteiligten <strong>ein</strong>e riesige, fast übermenschliche<br />

Aufgabe. Sie pendelt zwischen Mitleid, Empathie<br />

<strong>und</strong> Weltenretten wollen hin <strong>und</strong> her. Wie auch<br />

immer, von Seiten des brasilianischen Staates gilt<br />

<strong>ein</strong>e riesige, historische Schuld zu tilgen. Der<br />

Prozess nimmt s<strong>ein</strong>en Gang, unaufhaltsam.<br />

Rette mich in <strong>ein</strong> Zitat der großen Bertha K.<br />

Becker, Geografin: Die amazonischen Indígenen<br />

sind sehr clever. Sie lernen sehr schnell. Sie<br />

bewahren nicht nur ihre Kultur, sondern nehmen<br />

auch zahlenmäßig viel schneller zu als der<br />

Durchschnitt der brasilianischen Bevölkerung. Sie<br />

sind international sehr gut vernetzt <strong>und</strong> sehr<br />

wohl imstande, sich selber zu helfen.<br />

Oder wie man hier zu sagen pflegt: Ihr Wort in<br />

Gottes Ohr!<br />

<strong>Amazonien</strong>, <strong>ein</strong> <strong>Foto</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lesebuch</strong> - <strong>Susanne</strong> <strong>Gerber</strong>-<strong>Barata</strong> 352

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