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Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Foto- und Lesebuch über den brasilianischen Amazonas

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Santarém oder Vom Ende der Welt<br />

Fast 300.000 Einwohner, <strong>ein</strong> wichtiger Hafen, <strong>ein</strong><br />

Flughafen mit <strong>ein</strong>em <strong>ein</strong>zigen Gepäckband, <strong>ein</strong>e<br />

brandneue staatliche Universität, <strong>ein</strong> Theater, <strong>ein</strong><br />

Kino <strong>und</strong> zwei Shoppingcenters – die Stadt<br />

Santarém ist wohl typisch für das brasilianische<br />

Hinterland.<br />

Die Stadt Santarém könnte Ausgangspunkt<br />

traumhafter Schiffsreisen auf dem Tapajós s<strong>ein</strong>.<br />

Aber im Moment liegt sie wohl noch immer eher<br />

irgendwo an <strong>ein</strong>em Ende der zivilisierten Welt.<br />

Bildet <strong>ein</strong>e Art allerletzter Grenze zu noch<br />

hinteren Hinterländern. Ausreichend hässlich <strong>und</strong><br />

gesichtslos dazu ist sie auf alle Fälle. Wer<br />

allerdings zweimal hinschaut, findet auch hier<br />

Reste <strong>ein</strong>er glanzvolleren Vergangenheit. Es gibt,<br />

neben <strong>ein</strong> paar gut erhaltenen schmucken<br />

Häusern aus der Kolonialzeit, gar zwei kl<strong>ein</strong>e<br />

Museen. Sicherlich <strong>ein</strong>e Art heroischer Akt, hier<br />

im Amazonas <strong>ein</strong> lokales Museum ins Leben zu<br />

rufen, zu unterhalten <strong>und</strong> damit der Nachwelt <strong>ein</strong><br />

Stück Geschichte zu bewahren.<br />

Das im Titel erwähnte Ende der Welt sch<strong>ein</strong>t <strong>ein</strong>e<br />

der lokalen Ironien zu s<strong>ein</strong>. Es gibt <strong>ein</strong> Buch von<br />

Joe Jackson, das dem cleveren Dieb, dem<br />

Engländer, Henry Wickham <strong>ein</strong> Denkmal setzt. Er<br />

war es, der 1876 von Santarém aus die<br />

Gummibaumsamen verbotenerweise außer Land<br />

schmuggelte <strong>und</strong> damit den Niedergang der<br />

Kautschukproduktion veranlasste. Auch s<strong>ein</strong> Titel,<br />

“The Thief at the End of the World” nimmt aufs<br />

Weltende Bezug.<br />

Als gute Kulturtouristin tue ich das Stadtmuseum<br />

João Fona eher zufällig auf. Ein beflissener junger<br />

Mann, dem Buch nach zu urteilen, das er in der<br />

Hand hält, studiert er „Letras”, Portugiesisch, führt<br />

mich durch die spärlichen Räume. Ich erfahre, dass<br />

ich beileibe nicht die <strong>ein</strong>zige schweizer Besucherin<br />

sei. N<strong>ein</strong>, hier in Santarém gebe es viele<br />

ausländische Touristen. Die wöchentlich hier<br />

andockenden Kreuzfahrtschiffe bezeugen das. Das<br />

Museum sei im Gebäude des antiken Rathauses<br />

untergebracht. Alles sei restauriert worden. Nur<br />

leider, leider fehle jetzt wieder das Geld – m<strong>ein</strong><br />

Blick streift über <strong>ein</strong>en kl<strong>ein</strong>en Wasserschaden. Im<br />

ersten Raum kann ich den Holzboden bew<strong>und</strong>ern,<br />

abwechselnd <strong>ein</strong>e Diele gelbes Edelholz, <strong>ein</strong>e Diele<br />

dunkles Tropenholz, in der Mitte <strong>ein</strong>e kunstvolle<br />

Intarsie. Dann die Wandbilder, die <strong>ein</strong> anderes<br />

Santarém, zu Zeit des Kautschuks zeigen, fast<br />

europäisch, zivilisiert. Auf dem <strong>ein</strong>en balanciert im<br />

Vordergr<strong>und</strong> <strong>ein</strong> Reiher <strong>ein</strong>b<strong>ein</strong>ig auf dem riesigen<br />

Blatt <strong>ein</strong>er „Vitória Régia”. Ihr Durchmesser<br />

beträgt wohl <strong>ein</strong>en halben Meter, <strong>ein</strong>e Seerose in<br />

amazonischen Dimensionen. Vorbei geht es an der<br />

obligaten Galerie der Bürgermeister, alle, auch<br />

zwei Frauen, mehr oder weniger kunstvoll<br />

künstlich in Öl festgehalten. Jeder schaut aus<br />

<strong>ein</strong>em anderen Winkel aus den dunklen Rahmen,<br />

<strong>ein</strong>e Anhäufung von Bärten, Schnäuzen,<br />

Schnurrbärten.<br />

1661 gründete hier der Jesuit João Felipe<br />

Bettendorf <strong>ein</strong>e Missionsstation, aus der sich<br />

dann die Stadt Santarém entwickelte. Die wurde<br />

schon bald zu <strong>ein</strong>er wichtigen Zwischenstation<br />

auf dem Weg von Manaus nach Belém. Gar <strong>ein</strong>en<br />

Baron, der Barão do Tapajós, des Barons vom<br />

Tapajós, des Flusses, gab es hier. F<strong>ein</strong>e Ironie<br />

oder brutaler Kolonialismus? Auf alle Fälle war es<br />

<strong>ein</strong> Portugiese, der sich mit dem indigenen<br />

Namen im Titel schmückte. Weiter geht es mit<br />

vielen Fragmenten indigener Töpferkunst,<br />

„Ceramica Tapajoara“. Sie hatte ihre Hochblüte<br />

vor der „Entdeckung” Brasiliens durch Cabral. Es<br />

gibt Anzeichen dafür, dass es hier, wie an vielen<br />

Stellen im Amazonas, hochstehende Kulturen mit<br />

komplexen Ritualen gegeben hat. Die Graburnen<br />

sind w<strong>und</strong>erschön geschwungen <strong>und</strong> die<br />

Keramikfragmente zeigen reiche Verzierungen,<br />

Tierköpfe, kl<strong>ein</strong>e töpferne Menschenfiguren. Ein<br />

kl<strong>ein</strong>er, leider zu wahrer politischer Diskurs des<br />

Führers lamentiert, dass die schönsten Stücke<br />

natürlich alle geraubt wurden. In den Völkerk<strong>und</strong>lichen<br />

Museen von Belém, São Paulo <strong>und</strong> im<br />

Ausland seien.<br />

Die Hand- <strong>und</strong> Fußeisen für die Sklaven, der<br />

„Pelorinho”, <strong>ein</strong>e Art Schandpfahl sind heute ins<br />

Depot verbannt. Ich lerne, dass es hier in<br />

Santarém viel Sklavenhandel gab. Bis heute gibt<br />

<strong>Amazonien</strong>, <strong>ein</strong> <strong>Foto</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lesebuch</strong> - <strong>Susanne</strong> <strong>Gerber</strong>-<strong>Barata</strong> 871

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