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Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Foto- und Lesebuch über den brasilianischen Amazonas

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An der Bushaltestelle<br />

Wohl <strong>ein</strong>e Art Geheimcode? - Claro 10, Oi 15, Vivo<br />

12 16 06, Tim 15 10, Amazonia 10 15 20, Telemar<br />

20 40 – aha, das improvisierte handgeschriebene<br />

Plakat verkauft ganz <strong>ein</strong>fach Telefon- <strong>und</strong><br />

Handykarten. Noch kodifizierter schallt es an m<strong>ein</strong><br />

Ohr: “Picolé da massa, picolé da massa!” -<br />

Maulbeere, Passionsfrucht, Kokos, Cupuaçu, Açaí!<br />

Religiös betet der schon in die Jahre geratene<br />

Verkäufer den Singsang in regelmäßigen<br />

Intervallen herunter. Eis am Stiel! In so viele<br />

Geschmacksrichtungen! Sch<strong>ein</strong>t sich gut zu<br />

verkaufen - leider fehlt mir die Courage, von der<br />

Köstlichkeit auch zu kosten. Eine Mutter klaubt<br />

tief in ihrer altmodischen Börse nach <strong>ein</strong>em Real<br />

für jeden. Schon schlecken die spitzen Zungen<br />

zweier aufgeweckter Jungs mit deutlich<br />

indianischen Gesichtszügen das oben abger<strong>und</strong>ete<br />

Stängeleis. Der Mann hat es, unverpackt,<br />

<strong>ein</strong>s wie das andere fest durchgefroren, am<br />

kurzen Holzstängel aus dem improvisierten<br />

Bauchladen, <strong>ein</strong> Kasten aus Styropor, gezaubert.<br />

Schon hängt er ihn sich wieder um <strong>und</strong> ruft: –<br />

„Picolé da massa, picolé da massa!“.<br />

Schon übertönt ihn <strong>ein</strong>e andere Stimme, die<br />

Stimmlage um Nuancen penetranter. Sie besteht<br />

darauf, dass das Gift, das sie verkaufe, sowohl<br />

Katzen wie Ratten <strong>und</strong> gleich auch alles andere<br />

Getier töte. Der Mann weiter vorne wirbt für<br />

Erfrischungen. Ließ sich, so kommt endlich s<strong>ein</strong><br />

gesamtes Limonaden- <strong>und</strong> Wasserangebot<br />

wirklich zur Geltung, <strong>ein</strong> paar Ringe an den<br />

praktischen Handwagen löten. In denen klappert<br />

nun <strong>ein</strong> Muster s<strong>ein</strong>es Angebots. Je <strong>ein</strong>e leere<br />

Dose Cola, Guaraná <strong>und</strong> Fanta – Orange oder<br />

Traube? Dazu gibt´s auch den obligaten Becher<br />

Wasser <strong>und</strong> das selbe auch in kl<strong>ein</strong>en Flaschen, die<br />

wohl s<strong>ein</strong>en Hauptumsatz ausmachen, natürlich<br />

nur ohne Kohlensäure.<br />

Die meisten Männer, die hier Mögliches <strong>und</strong><br />

Unmögliches anbieten, arbeiten auf eigene<br />

Rechnung, informell, unregistriert. Die meisten<br />

haben die 50ig schon überschritten. Ich stehe am<br />

untersten Teil der steil zum Hafen abfallenden<br />

Straße im Zentrum von Manaus, zu <strong>ein</strong>em riesigen<br />

Busbahnhof umfunktioniert. Über die zwei von<br />

<strong>ein</strong>em zementierten Bord getrennten Pisten, <strong>ein</strong>e<br />

Art verkehrstechnisches Nadelöhr, stürzen sich<br />

wohl fast alle Buslinien der Stadt hinunter. Ich<br />

entnehme es den abgenützten, zerkratzten<br />

Metalltafeln, die in endlosen Reihen Busnummern<br />

auflisten. Dazu kommen die sich ständig<br />

erneuernden, wuselnden Menschenmassen, die<br />

sozusagen im Kollektiv auf ihren Bus warten.<br />

Letztere stoppen quietschend fast im Sek<strong>und</strong>entakt,<br />

schwungvoll <strong>und</strong> abrupt, nach <strong>ein</strong>er<br />

genussvollen Schussfahrt. Bremsen hart <strong>und</strong> brüsk,<br />

geheimnisvollerweise immer am richtigen Ort, an<br />

der ganzen Höhen verteilten fünf oder sechs<br />

Haltestellen. Türen schlagen auf, Türen schlagen<br />

zu, <strong>und</strong> schon schießen sie wieder davon,<br />

aufbrausend <strong>und</strong> kraftvoll Gas gebend, alles in<br />

frenetischem Rhythmus. Schneiden die<br />

hinderlich gerade stillstehenden Busse, brausen<br />

an ihnen vorbei, schon mit voller Geschwindigkeit.<br />

Bin mal wieder die Einzige, die sich von<br />

solchem rüpelhaften Fahrstil be<strong>ein</strong>drucken lässt.<br />

Hinter, vor <strong>und</strong> neben mir wimseln Passagiere<br />

nach allen Seiten. Überqueren ungeachtet der<br />

Gefahren todesmutig die zwei Pisten. Werfen<br />

sich winkend, es ist ihr Bus, fast vor s<strong>ein</strong>e Räder.<br />

Ist er ihnen unglücklicherweise gerade vor der<br />

Nase abgefahren, schlagen sie lautstark ans Blech<br />

der Türen. Ist der Fahrer gut gelaunt, haut er den<br />

Fuß auf die Bremse, öffnet die Tür noch mal,<br />

auch wenn der Kühler schon halb ausgeschert ist.<br />

Alles Gewohnheitssache! Endlose Wartezeiten<br />

werden, wie die unerträgliche Hitze stoisch <strong>und</strong><br />

gottgegeben hingenommen. K<strong>ein</strong>er stresst sich,<br />

viele unterhalten sich angeregt. Wer sich´s<br />

leisten kann, fährt sowieso Auto, natürlich mit<br />

der überlebensnotwendigen Klimaanlage! Die<br />

Unterbemittelten sind unter sich, was vielleicht<br />

auch erklärt, warum hier k<strong>ein</strong>er um <strong>ein</strong>en<br />

Groschen bittet, k<strong>ein</strong>es der Kinder um Almosen<br />

bettelt.<br />

Zu den visuellen Eindrücken gesellen sich die<br />

unterschiedlichsten Gerüche. Der appetitliche<br />

Bratenduft <strong>ein</strong>es „Churrasco de gato“,<br />

(„Katzenbarbecue“, volkstümlich für billige<br />

<strong>Amazonien</strong>, <strong>ein</strong> <strong>Foto</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lesebuch</strong> - <strong>Susanne</strong> <strong>Gerber</strong>-<strong>Barata</strong> 686

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