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Die Methode der Kritischen Diskurs - hug-web.at

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138<br />

Winfried Marotzki<br />

Sozialforschung erobert h<strong>at</strong> (vgl. Bohnsack 1997; 1999). Sie ist bezeichnen<strong>der</strong>weise<br />

im Kontext einer Renaissance <strong>der</strong> Milieuforschung zu neuer Bedeutung gelangt.<br />

Nachdem im Bereich <strong>der</strong> Forschung zur sozialen Ungleichheit die konventionellen,<br />

auf Schichtungsindik<strong>at</strong>oren und klassentheoretischen Überlegungen basierenden<br />

Konzepte problem<strong>at</strong>isiert worden sind, ging es darum, Lebensformen jenseits von<br />

Schichten und Klassen zu identifizieren: eben Milieus, die oftmals quer zu den gängigen<br />

gesellschaftlichen Str<strong>at</strong>ifik<strong>at</strong>ionsformen liegen.<br />

Im Gegens<strong>at</strong>z zur Biographieforschung, die individuelle Erfahrungsverarbeitungsräume<br />

fokussiert, interessiert sich Milieuforschung für kollektive, eben milieuspezifische<br />

Erfahrungsverarbeitungsräume2 . Bei <strong>der</strong> Analyse biographischer Interviews<br />

werden Milieuerfahrungen immer in <strong>der</strong> Art und Weise zum Gegenstand <strong>der</strong> empirischen<br />

Analyse, wie sie vom Individuum im Rahmen <strong>der</strong> „biographischen Gesamtformung”<br />

bereits integriert worden sind. Der gruppenspezifische Habitus wird auf diese<br />

Weise immer nur durch die Perspektive des Einzelnen zugänglich. Genau hier bietet<br />

das Gruppendiskussionsverfahren eine an<strong>der</strong>e Möglichkeit <strong>der</strong> Erschließung solcher<br />

gruppenspezifischen Formen, nämlich gleichsam durch die Perspektive <strong>der</strong> Gruppe.<br />

Milieutypische Orientierungen und Erfahrungen können in vali<strong>der</strong> Weise nicht auf<br />

<strong>der</strong> Grundlage von Einzelinterviews erhoben und ausgewertet werden. Vielmehr werden<br />

milieuspezifische bzw. kollektive Erfahrungen dort zur Artikul<strong>at</strong>ion gebracht, wo<br />

diejenigen in Gruppen sich zusammenfinden, denen diese Erfahrungen gemeinsam<br />

sind. Zu ihrer Artikul<strong>at</strong>ion bedarf es <strong>der</strong> wechselseitigen Bezugnahme und Herausfor<strong>der</strong>ung<br />

im (Gruppen-)<strong>Diskurs</strong>.<br />

Insofern wird man, wie auch bei den ethnographischen Verfahren, sagen müssen, dass<br />

die Gruppendiskussion zum klassischen Inventar Qualit<strong>at</strong>iver Sozialforschung gehört,<br />

aber nicht zu dem engeren Kreis <strong>der</strong> Biographieforschung gerechnet werden kann. Es<br />

ist also jeweils genau zu klären, was Gegenstand <strong>der</strong> Analyse sein soll: individuelle<br />

o<strong>der</strong> kollektive Erfahrungsverarbeitungsräume. Hinzu kommt ein weiterer Gesichtspunkt,<br />

<strong>der</strong> sich in den letzten Jahren im Kontext qualit<strong>at</strong>iver Forschung mit Kin<strong>der</strong>n<br />

und Jugendlichen deutlich herauskristallisiert h<strong>at</strong>: Wie auf <strong>der</strong> Grundlage des Vergleichs<br />

von biographischen Interviews, Gruppendiskussionen und teilnehmenden Beobachtungen<br />

erkennbar wurde (Bohnsack u.a. 1995), gibt es bei biographischen Interviews<br />

mit Jugendlichen häufig das Problem, dass eine autobiographische „Großerzählung”<br />

nur insoweit gelingt, als sich eine biographische Gesamtformung zumindest ans<strong>at</strong>zweise<br />

bereits konstituiert h<strong>at</strong>. Jugendliche in <strong>der</strong> Adoleszenzphase stehen aber erwartungsgemäß<br />

erst am Anfang eines <strong>der</strong>artigen Prozesses. In Gruppendiskussionen<br />

können demgegenüber Prozesse <strong>der</strong> probehaften Entfaltung biographischer Orientierungen<br />

und <strong>der</strong> kre<strong>at</strong>iven Entfaltung neuer milieuspezifischer Stile rekonstruiert werden.<br />

Zusammenfassung: Neben <strong>der</strong> Palette <strong>der</strong> nicht-reaktiven Verfahren <strong>der</strong> D<strong>at</strong>engewinnung<br />

findet man in <strong>der</strong> Biographieforschung überwiegend Interviewtechniken. Ethnographische<br />

Verfahren und Gruppendiskussionen eignen sich eher dazu, kulturelle<br />

2<br />

Zur Unterscheidung von individuellen und kollektiven Erfahrungsverarbeitungsraum vgl.<br />

Marotzki 1999.

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