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Die Methode der Kritischen Diskurs - hug-web.at

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Ralf Bohnsack & Burkhard Schäffer<br />

Da die Erwartungen <strong>der</strong> Teilnehmenden an den Normalablauf eines „Interviews“<br />

nicht erfüllt werden, nimmt <strong>der</strong> Anfang einer Diskussion bisweilen ein wenig krisenhafte<br />

Züge an. <strong>Die</strong> Erfahrung zeigt jedoch, dass diese Verunsicherung zumeist nur<br />

von kurzer Dauer ist und die in den Gruppen etablierten bzw. aus dem Engagement an<br />

<strong>der</strong> Sache erwachsenden <strong>Diskurs</strong>strukturen, einschließlich <strong>der</strong> formalen Organis<strong>at</strong>ion<br />

<strong>der</strong> interaktiven Bezugnahme aufeinan<strong>der</strong> („<strong>Diskurs</strong>organis<strong>at</strong>ion“; vgl. Loos/Schäffer<br />

2001, Kap. 4), sich durchzusetzen beginnen.<br />

Für eine an <strong>der</strong> Maxime <strong>der</strong> Initiierung von Selbstläufigkeit orientierte Diskussionsleitung<br />

lassen sich nicht – wie bei Verfahren, die eher am Modell <strong>der</strong> Standardisierung<br />

orientiert sind (vgl. exemplarisch: Lamnek 1998, 120) – norm<strong>at</strong>ive Regeln formulieren,<br />

son<strong>der</strong>n allenfalls „reflexive Prinzipien“, wie sie im Folgenden kurz umrissen<br />

werden (vgl. auch Bohnsack 2000a, 212-219):<br />

Zu Beginn einer Diskussion sollten alle Interventionen auf die Initiierung und För<strong>der</strong>ung<br />

von Selbstläufigkeit gerichtet sein. Allenfalls können immanente Nachfragen gestellt<br />

werden, also solche, die an von <strong>der</strong> Gruppe selbst bereits eingeführte Themen<br />

anschließen. <strong>Die</strong>se immanenten Nachfragen sollten in dieser Phase <strong>der</strong> Generierung<br />

von Erzählungen und Beschreibungen dienen.<br />

Alle Forscherinterventionen richten sich nicht an einzelne Personen, son<strong>der</strong>n an die<br />

gesamte Gruppe, an das Kollektiv, um den <strong>Diskurs</strong> <strong>der</strong> Erforschten untereinan<strong>der</strong> zu<br />

beför<strong>der</strong>n und Eingriffe in die Verteilung, die Allok<strong>at</strong>ion <strong>der</strong> Redebeiträge, in das<br />

„turn-taking“ (Sacks/Schegloff/Jefferson 1978) und die <strong>Diskurs</strong>organis<strong>at</strong>ion (vgl.<br />

4.2.1) zu vermeiden. Somit werden auch z.B. „Schweiger“ nicht animiert. Nachfragen<br />

und Themeninitierungen sollten (mit Ausnahme <strong>der</strong> direktiven Diskussionsphase; s.<br />

u.) demonstr<strong>at</strong>iv vage gehalten sein, was durch „unpräzise“ Fragestellungen („Wie ist<br />

es denn so mit Familie bei euch?“) bzw. mit Fragereihungen erreicht wird. Auf diese<br />

Weise demonstrieren die Forscher, dass sie nicht den Anspruch erheben wollen, über<br />

die Relevanzen und Orientierungen <strong>der</strong> Erforschten (zu denen sie ja erst Zugang gewinnen<br />

wollen) Bescheid zu wissen, bringen also eine für die analytische Mentalität<br />

in Wissenssoziologie und Ethnographie konstitutive Haltung <strong>der</strong> Fremdheit und des<br />

Respekts zum Ausdruck. Dadurch werden die Erforschten aufgefor<strong>der</strong>t, <strong>der</strong> Unwissenheit<br />

<strong>der</strong> Forscher abzuhelfen. <strong>Die</strong> unscharfe Frageformulierung eröffnet den Teilnehmenden<br />

zudem Freiräume, ihre Beiträge ihrem Orientierungsrahmen entsprechend<br />

selbst zu formulieren und sich diejenigen them<strong>at</strong>ischen und orientierungsbezogenen<br />

Aspekte an einer unscharf formulierten Frage herauszusuchen, die ihren Relevanzsetzungen<br />

entsprechen.<br />

3 <strong>Die</strong> „methodische Kontrolle“ besteht darin, dass anhand <strong>der</strong> <strong>Diskurs</strong>protokolle eine recht<br />

genaue Trennung von Sequenzen vorgenommen werden kann: einerseits in Sequenzen, in<br />

denen die Gruppe explizit auf die Interviewenden reagiert, und an<strong>der</strong>erseits solche, bei denen<br />

die Gruppe sich metaphorisch und dram<strong>at</strong>urgisch zu steigern beginnt und die Diskussionsleitung<br />

tendenziell in den Hintergrund tritt. <strong>Die</strong> zuerst genannten Sequenzen finden sich oft in<br />

den Reaktionen auf Eingangs- und Zwischenfragen o<strong>der</strong> dann, wenn die Gruppe sich an die<br />

Diskussionsleitung als Vertreter einer Institution o<strong>der</strong> eines <strong>Diskurs</strong>es wendet („was wir<br />

schon immer mal loswerden wollten“). Der zweite „Modus“ tritt dort in den Vor<strong>der</strong>grund,<br />

wo <strong>der</strong> <strong>Diskurs</strong> selbstläufig wird.

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