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Die Methode der Kritischen Diskurs - hug-web.at

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Kollektive Erinnerungsarbeit<br />

343<br />

den soll. Wi<strong>der</strong> den zeitgeistigen Standpunkt des geschichtslosen Menschen wendet<br />

sich Frigga Haug gegen die Absage an Erzählungen aller Art und plädiert für das<br />

„Erzählen als Mittel <strong>der</strong> Überlieferung und <strong>der</strong> Vergewisserung eigener Erinnerung; Erzählen<br />

als Kultur, als Ausbildung, als Bewegung, als Auffor<strong>der</strong>ung, nicht zu vergessen.“ (Haug 1999,<br />

13)<br />

Erinnerungsarbeit wird so auch zu einem Projekt, welches sich im Kontext einer Erzählkultur<br />

verortet.<br />

1.2 Der Zusammenhang zwischen Erinnerung, Befreiung und<br />

Handlungsfähigkeit<br />

Aus <strong>der</strong> Doppelbesetzung von Erinnerung als kollektivem Geschichtsbewusstsein und<br />

als individuellem Vermögen entwickelt sich <strong>der</strong> befreiungstheoretische Aspekt. Zum<br />

einen kann aus <strong>der</strong> Vergangenheit eine Vorstellung von Möglichem, von Verän<strong>der</strong>ung,<br />

von Wi<strong>der</strong>stand gewonnen und in Zukünftiges transportiert werden. Mittels <strong>der</strong><br />

Arbeit mit Erinnerung als Wahrnehmungsmuster können erworbene und fixierte<br />

Strukturen durch den Blick <strong>der</strong> Gegenwart auf die Vergangenheit freigelegt werden.<br />

Damit werden für die Zukunft Handlungsoptionen und Verän<strong>der</strong>ungsmöglichkeiten<br />

erarbeitet. Erinnerung als Mittel <strong>der</strong> Befreiung h<strong>at</strong> einen großen Stellenwert in <strong>der</strong><br />

<strong>Kritischen</strong> Theorie:<br />

„Alle Verdinglichung ist ein Vergessen, und Kritik heißt eigentlich soviel wie Erinnerung,<br />

nämlich in den Phänomenen mobilisieren, wodurch sie das wurden, was sie geworden sind, und<br />

dadurch <strong>der</strong> Möglichkeiten innewerden, dass sie auch ein An<strong>der</strong>es hätten werden und dadurch<br />

ein An<strong>der</strong>es sein können.“ (Adorno 1993, 250)<br />

In den 70er Jahren gewannen erzählte Überlieferungen und Erinnerungen als zentrale<br />

K<strong>at</strong>egorie <strong>der</strong> Oral history auch in den Geschichtswissenschaften an Bedeutung. Erinnerungen<br />

sind umkämpft, und obwohl sie Mittel zur Befreiung sind, sind sie auch Einfallstor<br />

für ideologische Zurichtung. Erinnerungen sind in Bild und Sprache vermittelt,<br />

welche sie ein weiteres Mal für Formen von Herrschaft und Unterdrückung zugänglich<br />

machen. Damit wird Erinnerungsarbeit – als Erinnerungs- und Befreiungskonzeption<br />

gesprochen – zu einem Vorstoß in die Vergangenheit, <strong>der</strong> in die Zukunft<br />

führen soll, und damit zu einem politisch-sozialen Projekt. Das komplizierte Zusammenspiel<br />

zwischen Individuum und Gesellschaft, eigenen Aktivitäten und Unterdrückungsbedingungen,<br />

Formierung und Selbstformung wird in Anlehnung an Séves<br />

(1983) K<strong>at</strong>egorie <strong>der</strong> Individualitätsform verdeutlicht. <strong>Die</strong>se verweist auf die fertigen<br />

Formen, welche die einzelnen Individuen in je<strong>der</strong> Epoche vorfinden und in die hinein<br />

sie ihre Persönlichkeit entfalten können und müssen. <strong>Die</strong> Erinnerungsarbeit als sozialwissenschaftliche<br />

<strong>Methode</strong>, die mit subjektiven Erinnerungen, also Alltagserlebnissen,<br />

arbeitet, verbindet eine Leitlinie für eine kritische Empirie des Alltagslebens und<br />

eine kritische Bearbeitung bereits bestehen<strong>der</strong> Theorien. Gesellschaft wird als T<strong>at</strong><br />

wirklicher Menschen begriffen und Sozialis<strong>at</strong>ion als Selbstbildung mittels sozialer<br />

Praktiken. Adorno versucht in seiner Gesellschaftstheorie die soziale Wirklichkeit in<br />

ähnlicher Weise zu erfassen:<br />

„Es gibt genauso wenig im gesellschaftlichen Sinn Individuen, nämlich Menschen, die als Personen<br />

mit eigenem Anspruch und vor allem als Arbeit verrichtende existieren können und existieren,<br />

es sei denn mit Rücksicht auf Gesellschaft, in <strong>der</strong> sie leben und die sie bis ins Innerste<br />

hinein formt, wie es auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite auch nicht Gesellschaft gibt, ohne daß ihr eigener

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