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Die Methode der Kritischen Diskurs - hug-web.at

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Gruppendiskussionsverfahren<br />

läufe von Kommunik<strong>at</strong>ionen, in denen Orientierungsmuster keinesfalls als zufällig<br />

o<strong>der</strong> emergent anzusehen sind. Sie verweisen auf kollektiv geteilte „existentielle<br />

Hintergründe“ <strong>der</strong> Gruppen, also auf gemeinsame biographische und somit kollektive<br />

Erfahrungen, die sich u. a. in milieu-, geschlechts- und gener<strong>at</strong>ionsspezifischen<br />

Gemeinsamkeiten nie<strong>der</strong>schlagen und in einer Gruppendiskussion in Form<br />

„kollektiver Orientierungsmuster“ (Bohnsack 1997) zur Artikul<strong>at</strong>ion gelangen.<br />

Für diesen Perspektivenwechsel wurden einige Revisionen und Neuadjustierungen<br />

wichtiger formalsoziologischer Vorannahmen notwendig, die u. a. bei einer<br />

für das Verfahren adäqu<strong>at</strong>eren Fassung des Kollektiven ansetzten. Damit ist vor<br />

allem ein Kollektivitätsbegriff gemeint, <strong>der</strong> den mit dieser <strong>Methode</strong> erhebbaren<br />

D<strong>at</strong>en entspricht. <strong>Die</strong>ser findet sich bei Mannheim unter dem Begriff „konjunktiver<br />

Erfahrungsraum“ (vgl. Mannheim 1980, 211ff., Bohnsack 1998) und unterscheidet<br />

sich grundlegend von einem Begriff des Kollektiven, welches von Durkheim<br />

(1961) als fremdbestimmt („heteronom“) und von außen an die Subjekte herangetragen<br />

(„exterior“) konzeptualisiert wurde. Das letztgenannte Konzept betont<br />

am Kollektiven diejenigen Merkmale, die den „Subjekten“ in Gestalt „gesellschaftlicher<br />

T<strong>at</strong>sachen“, mithin als äußerliche entgegentreten und auf sie Zwang<br />

ausüben. Der Mannheimsche Begriff des „Konjunktiven“ dagegen betont eine<br />

Ebene des Kollektiven, die durch gemeinsame bzw. strukturidentische Erfahrungen<br />

gestiftet wird.<br />

<strong>Die</strong>se Form des Kollektiven, so die Pointe <strong>der</strong> Argument<strong>at</strong>ion, tritt uns bereits bei <strong>der</strong><br />

genauen Lektüre <strong>der</strong> empirischen Analyse von Mangold entgegen, nämlich immer<br />

dann, wenn sich die Teilnehmer und Teilnehmerinnen einer Gruppendiskussion<br />

gleichsam „hineinsteigerten“ bzw. im <strong>Diskurs</strong> aufgingen, wenn sie also gemeinsame<br />

Zentren <strong>der</strong> Erfahrung aktualisierten – in Mangolds Untersuchung etwa die Erfahrung<br />

von „Ausgebombten“ und Flüchtlingen in einem süddeutschen Barackenlager im<br />

Jahre 1950 (vgl. Mangold 1959, 50ff). <strong>Die</strong> empirische Evidenz <strong>der</strong> Arbeit Mangolds<br />

reichte jedoch, wie auch das bereits erwähnte Vorwort von Horkheimer und Adorno<br />

zur Veröffentlichung <strong>der</strong> Dissert<strong>at</strong>ion von Mangold (1960) zeigt, nicht aus, um die<br />

theoretische Dominanz <strong>der</strong> Konzeption des Kollektiven im Sinne von Durkheim in<br />

Frage zu stellen.<br />

Im engeren und weiteren Kontext dieser Konzeptualisierung des Gruppendiskussionsverfahrens<br />

auf <strong>der</strong> Basis <strong>der</strong> praxeologischen Wissenssoziologie (s. zu diesem Begriff<br />

den Beitrag von Bohnsack in Band 3) und <strong>der</strong> dokumentarischen <strong>Methode</strong> ist in <strong>der</strong><br />

jüngsten Zeit eine Fülle empirisch angelegter Studien entstanden (bzw. werden diese<br />

im Moment erarbeitet), die die Leistungs- und Anschlussfähigkeit dieses Ans<strong>at</strong>zes in<br />

unterschiedlichen Anwendungsgebieten unter Beweis stellen (Bohnsack 1989, Bohnsack<br />

u. a. 1995, Bohnsack/Nohl 1998, Schelle 1995, Schäffer 1996 sowie 1998a,<br />

1998b u. 2000a, Gabriel/Treber 1996, Wild 1996, Nohl 1996 und 2000, Behnke 1997,<br />

Loos 1998 und 1999, Meuser 1998, Nentwig-Gesemann 1999, Breitenbach 2000, Michel<br />

2000, Przyborski 2000, Schittenhelm 2000, Weller 2000).<br />

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2 Auf diesem Niveau bewegen sich u. a. auch die Struktur des Habitus, welche von Bourdieu<br />

(1982) als „gener<strong>at</strong>ive Formel“ o<strong>der</strong> „modus operandi“ charakterisiert wird, o<strong>der</strong> die „Prozeßstrukturen<br />

des Lebensablaufs“ bei Fritz Schütze (1983).

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