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Die Methode der Kritischen Diskurs - hug-web.at

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Albert Müller<br />

Der französische Historiker Paul Veyne hielt das geradezu für ein Charakteristikum<br />

<strong>der</strong> Geschichtswissenschaft: Immer wenn Historiker über die kompetente Sichtung<br />

von historischem M<strong>at</strong>erial hinausgehen und „Erklärungen“ anbieten, würden sie als<br />

Soziologen, als Anthropologen, als Ökonomen etc. handeln:<br />

„Über das historische Wissen kann man vielerlei sagen, vor allem aber dass es keine spezifische<br />

<strong>Methode</strong> <strong>der</strong> Geschichtswissenschaft gibt. Eine historische T<strong>at</strong>sache kann nur mit Hilfe <strong>der</strong><br />

Soziologie, <strong>der</strong> politischen Theorie, <strong>der</strong> Anthropologie, <strong>der</strong> Ökonomie usw. erklärt (und folglich<br />

dargestellt) werden. Man fragt sich wohl vergebens, was die historische Erklärung eines<br />

Ereignisses sein könnte, wenn nicht dessen ‚soziologische‘, wissenschaftliche o<strong>der</strong> ‚wahre‘<br />

Erklärung. So gibt es auch keine astronomische Erklärung astronomischer T<strong>at</strong>sachen, denn für<br />

sie ist die Physik zuständig.“ (Veyne 1988, 15)<br />

Aus dieser zweifellos nicht <strong>der</strong> Selbstsicht <strong>der</strong> meisten Historiker entsprechenden Perspektive<br />

Veynes – mit <strong>der</strong> dieser nicht zuletzt einem bekannten Diktum Lévi-Strauss'<br />

wi<strong>der</strong>sprach, die Geschichtswissenschaft „besteht ganz und gar in ihrer <strong>Methode</strong>“<br />

(Lévi-Strauss 1979, 302) – könnte unter an<strong>der</strong>em folgen, dass die spezifischen o<strong>der</strong><br />

„genuinen“ historischen Instrumentarien – im Sinne dessen, was Historiker als Historiker<br />

tun – die eines „Beobachtens“/eines „Beobachtungsversuchs“ und die eines des<br />

„Übersetzens“/eines „Übersetzungsversuchs“ wären und erst an<strong>der</strong>e, weitere Instrumentarien<br />

die historische Arbeit fortführen und abschließen.<br />

Versucht man ein wenig abzuschätzen, was Historikerinnen und Historiker in <strong>der</strong><br />

Auseinan<strong>der</strong>setzung um ihren Gegenstand und um ihre Disziplin bewegt, so spielen<br />

wenigstens in den letzten zehn Jahren „<strong>Methode</strong>n“ – im Gegens<strong>at</strong>z etwa zu Fragen <strong>der</strong><br />

Theorien und Met<strong>at</strong>heorien o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> Disziplin – kaum mehr eine allzu<br />

große Rolle. Heißt dies nun etwa, dass die Frage <strong>der</strong> <strong>Methode</strong>n in <strong>der</strong> Geschichtswissenschaften<br />

keine Bedeutung mehr h<strong>at</strong>? Das Gegenteil dürfte zutreffen: Methodisch<br />

„gesichertes“ Wissen gehört zu den offiziell primären Zielen historischer Forschung<br />

und Darstellung. Um zu verhin<strong>der</strong>n, dass Geschichte zur bloßen Lieferantin höchst<br />

fragwürdiger „Identitäts-Angebote“ (man denke nur an die laufende Deb<strong>at</strong>te über ein<br />

geplantes Haus <strong>der</strong> Geschichte in Österreich) gerät, ist es auch notwendig, regelmäßig<br />

die Frage nach den <strong>Methode</strong>n zu stellen. Denn: „Identity history is not enough“<br />

(Hobsbawm 1997).<br />

<strong>Die</strong> fortschreitende Pluralisierung <strong>der</strong> verwendeten <strong>Methode</strong>n h<strong>at</strong> nun unter an<strong>der</strong>em<br />

dazu geführt, dass keine spezielle <strong>Methode</strong> mehr einen privilegierten St<strong>at</strong>us einzunehmen<br />

vermag (vgl. schon Meier/Rüsen 1988). <strong>Die</strong>ser Ent-Hierarchisierung <strong>der</strong> <strong>Methode</strong>n<br />

zur Wissensproduktion in <strong>der</strong> Geschichtswissenschaft wird zwar noch nicht überall<br />

in <strong>der</strong> Ausbildung Rechnung getragen, im Forschungsbereich wird sie allerdings<br />

zweifellos weitgehend anerkannt. <strong>Die</strong> <strong>der</strong>zeitige Situ<strong>at</strong>ion <strong>der</strong> Geschichtswissenschaft<br />

– man könnte von einer post-paradigm<strong>at</strong>ischen o<strong>der</strong> polyparadigm<strong>at</strong>ischen Phase<br />

sprechen – unterscheidet sich damit jedenfalls sehr deutlich von <strong>der</strong> Periode ihrer Formierungsphase<br />

im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t, in <strong>der</strong> die Kanonisierung und Privilegierung von<br />

bestimmten <strong>Methode</strong>n im Vor<strong>der</strong>grund stand.<br />

Wurde im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t die Deb<strong>at</strong>te über die Fundierung <strong>der</strong> Geschichte als Wissenschaft<br />

und über Fragen <strong>der</strong> <strong>Methode</strong>n noch gemeinsam geführt (vgl. nur Droysen<br />

1977), so wurden diese Bereiche in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr getrennt.<br />

Man geht gewiss nicht falsch, hier ein zunehmend instrumentelles Verständnis von

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