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Die Methode der Kritischen Diskurs - hug-web.at

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<strong>Methode</strong>n theoretischer Forschung<br />

gang mit Konfliktsitu<strong>at</strong>ionen haben: Welche Gestalt und welchen Erklärungswert<br />

hätte eine „Theorie“ dann, die über den Zusammenhang von kindlichen Angsterlebnissen<br />

bei Konfliktsitu<strong>at</strong>ionen mit <strong>der</strong> Konfliktfähigkeit im Erwachsenenalter Aussagen<br />

macht? Sicher hätte sie nicht einfach die Form „Wer als Kind Streitigkeiten angstvoll<br />

erlebt, h<strong>at</strong> später als Erwachsener Schwierigkeiten im Umgang mit Konflikten“.<br />

Dass <strong>der</strong>lei simple Verallgemeinerungen im psychologischen Bereich falsch sind,<br />

weil Fälle wie die drei so unterschiedlichen Brü<strong>der</strong> Müller eben sehr häufig sind,<br />

dürfte klar sein. Dagegen würden manche nun einwenden, dass zwar alle drei Brü<strong>der</strong><br />

durch ihre Familiensitu<strong>at</strong>ion so etwas wie die „Anlage“ zu späteren Problemen mitbekommen<br />

hätten, dass jedoch Müllers Brü<strong>der</strong> später offenbar mehr Gelegenheit h<strong>at</strong>ten,<br />

das Umgehen mit Konflikten zu erlernen, sodass das Problem nicht auftritt. Der Vorschlag<br />

lautet also, dass man die Theorie nur etwas raffinierter gestalten und ungefähr<br />

sagen müsste: „Wer als Kind Streitigkeiten angstvoll erlebt und an<strong>der</strong>weitig nicht hinreichend<br />

Gelegenheit h<strong>at</strong>te, den Umgang mit Konflikten zu erlernen, <strong>der</strong> h<strong>at</strong> später als<br />

Erwachsener Schwierigkeiten im Umgang mit Konflikten.“ So weit, so gut, bloß: Was<br />

heißt „nicht hinreichend Gelegenheit“? Das wird wohl für verschiedene Menschen<br />

mit ihren Lebensgeschichten recht verschieden ausfallen. Überhaupt drängt sich <strong>der</strong><br />

Verdacht auf, dass jetzt eine Theorie aufgestellt wurde, die durch keinerlei Fakten ins<br />

Wanken gebracht werden könnte. <strong>Die</strong> Menschen sind nämlich hinsichtlich dieser<br />

Theorie in drei „Fallgruppen“ einteilbar: (1) Wer als Kind keine Streitigkeiten angstvoll<br />

erlebt h<strong>at</strong>, über den beansprucht die Theorie ohnehin nichts zu sagen, sie kann<br />

durch die Existenz solcher Menschen also auch nicht wi<strong>der</strong>legt werden. (2) Wer welche<br />

erlebt h<strong>at</strong> und später überempfindlich gegen Konfliktsitu<strong>at</strong>ionen ist, auf den trifft<br />

die Theorie zu. (3) Wer welche erlebt h<strong>at</strong>, aber später nicht überempfindlich gegen<br />

Konfliktsitu<strong>at</strong>ionen ist, auf den trifft die Theorie ebenfalls zu (man rechnet ihn eben<br />

zu den Fällen, die hinreichende Gelegenheit zum Erlernen des Umgangs mit Konflikten<br />

h<strong>at</strong>ten). Eine Theorie allerdings, die mit beliebigen Fakten gleich gut vereinbar ist,<br />

wird niemand als gute Erklärung für irgendetwas akzeptieren. Dennoch: Theorien wie<br />

die obige haben eine gewisse Plausibilität, und viele würden sie nur ungern als völligen<br />

Unsinn abtun. Wie ist dieses Problem zu lösen?<br />

2.1.2 Erklären und Verstehen<br />

Viele Wissenschaftstheoretiker würden ungefähr folgende Lösung vorschlagen: „Erklären“<br />

ist mehrdeutig. Physikalische Theorien „erklären“ uns in an<strong>der</strong>er Weise etwas,<br />

als z.B. psychologische Theorien dies tun. Physikalisch, so <strong>der</strong> Vorschlag, ist<br />

eine Zustandsän<strong>der</strong>ung dann „erklärt“, wenn man a) einen Ausgangszustand und b)<br />

ein allgemeines Gesetz angeben kann, und zwar so, dass diese Zustandsän<strong>der</strong>ung aus<br />

dem Ausgangszustand und dem allgemeinen Gesetz mit Sicherheit o<strong>der</strong> zumindest<br />

mit einer angebbaren Wahrscheinlichkeit vorhersagbar gewesen wäre. Ein stark vereinfachtes<br />

Beispiel (bei dem auch alle Zahlen weggelassen sind): Wieso wird ein<br />

Tauchsie<strong>der</strong> warm? Weil er ein elektrischer Leiter ist, durch den Strom geschickt wird<br />

(Ausgangszustand), und weil alle elektrischen Leiter, durch die man Strom schickt,<br />

sich erwärmen (allgemeines Gesetz). Psychologische „Erklärungen“ wie unsere obige<br />

leisten dies in aller Regel nicht, sie haben keinen Nutzen für die Vorhersage. 15 Selbst<br />

wenn man eine sehr gute Beschreibung <strong>der</strong> Kindheit <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> Müller zur Hand<br />

hätte, könnte man zusammen mit unserer „Theorie“ daraus nichts für ihr späteres Le-<br />

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