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Konzepte und Entwicklungsschritte für den Aufbau der Notfallselsorge

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VI. Die Rotschlammkatastrophe von Devecser aus Sicht <strong>der</strong> Notfallseelsorge<br />

Wir sind in <strong>der</strong> Zwischenzeit die Häuser abgegangen <strong>und</strong> haben die Menschen<br />

aufgesucht. Wir haben geklopft – <strong>den</strong> Kontakt aufgenommen –, gesagt, wir wür<strong>den</strong><br />

Gummihandschuhe <strong>und</strong> Wasser in Flaschen mitbringen <strong>und</strong> haben gefragt, was sie<br />

benötigen wür<strong>den</strong>. Niemand hatte Zeit zu sprechen, aber ich habe selbst auch nicht<br />

gewusst, was ich sagen sollte. Ich habe die an <strong>der</strong> Rettung beteiligten Menschen<br />

gesehen, die Dämme gebaut, aufgeräumt <strong>und</strong> Pakete verteilt haben. Ich wollte sie nicht<br />

aufhalten, habe aber gewusst, dass sie über das Erlebte sprechen, sich Luft machen<br />

müssen, sonst können sie die Last nicht ertragen. Einige Gefragte schauten mich an, als<br />

sie gesehen hatten, dass ich Pfarrer bin, <strong>und</strong> sagten, dass sie vielleicht eine Bibel<br />

benötigen wür<strong>den</strong>. Überall wurde ich eingela<strong>den</strong> <strong>und</strong> alle haben erzählt, wie sie sich<br />

retten konnten. Auch Tage später waren die Erlebnisse noch da, es wurde lebhaft<br />

erzählt. Es war wichtig, dass sie sich aussprechen konnten. Ein pensioniertes Ehepaar,<br />

dessen Tochter Krankenschwester war <strong>und</strong> Nachtdienst hatte, ist im Schlafanzug auf<br />

<strong>den</strong> Dachbo<strong>den</strong> geflohen <strong>und</strong> hat seine Tochter hinaufgezerrt. Dann, als sie in<br />

Sicherheit waren, kletterte <strong>der</strong> alte Mann in <strong>den</strong> Schlamm, um Gummistiefel <strong>und</strong> das<br />

Notwendigste zu sammeln <strong>und</strong> hat sich im basischen Schlamm verbrannt. Den alten<br />

Mann haben wir später getroffen, er hat mit verbrannten Beinen in Gummistiefeln<br />

weitergearbeitet <strong>und</strong> gehofft, noch etwas retten zu können. Es gab eine alte Dame, die<br />

irgendwie auf einen zweieinhalb Meter hohen Pfeiler geklettert war <strong>und</strong> zusah, wie alle<br />

an<strong>der</strong>en Pfeiler umfielen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Zaun nachgab. Der eine Pfeiler aber, an dem sie sich<br />

festgeklammert hatte, blieb stehen, vielleicht weil er am Haus angemauert war. Danach<br />

konnte die Dame tagelang nicht schlafen. Wenn sie die Augen zumachte o<strong>der</strong> ein Auto<br />

an ihr vorbeifuhr, hörte sie das Rauschen des Schlamms. Wir haben mit ihr gesprochen<br />

<strong>und</strong> wollten sie nicht sofort zu einem/r PsychiaterIn schicken, haben aber gemerkt, dass<br />

sich bei ihr schon eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) bemerkbar machte.<br />

Eine an<strong>der</strong>e ältere Dame hatte alles weggeworfen, selbst noch brauchbare Sachen, <strong>und</strong><br />

sich dabei von jedem Objekt, angefangen von <strong>der</strong> Pflaumenkonfitüre vom Vorjahr, über<br />

Töpfe <strong>und</strong> Werkzeuge, verabschiedet. Dann ist ihr plötzlich eingefallen, dass ihr Sohn<br />

sich verbrannt hatte <strong>und</strong> im Krankenhaus war <strong>und</strong> sie hat gefragt, ob er noch nach<br />

Hause kommen würde. Während sie die Töpfe in <strong>den</strong> geflogen warf, sie nur: „Hierher?<br />

Und wenn nicht, wohin dann? Und wird er ges<strong>und</strong>, wenn ich ihm sage, dass er nicht<br />

mehr hierher kommen kann?“ Dann hat sie ihre Arbeit abgebrochen <strong>und</strong> angefangen zu<br />

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