17.01.2013 Aufrufe

Bieler Jahrbuch 2007 - mémreg - regionales Gedächtnis

Bieler Jahrbuch 2007 - mémreg - regionales Gedächtnis

Bieler Jahrbuch 2007 - mémreg - regionales Gedächtnis

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

160<br />

der nicht fährt? René Zächs irritierenden, bisweilen<br />

witzigen, aber immer schönen Objekte können als<br />

Kommentare zu gesellschaftlichen Zusammenhängen,<br />

die uns alle betreffen, gelesen werden. Seine<br />

Objekte, Zeichnungen, Fotografien und Installationen<br />

sind, wie alle gute Kunst, tiefgründig und mehrdimensional,<br />

gleichermassen schön wie irritierend,<br />

schwergewichtig und von grosser Leichtigkeit.<br />

Eines meiner Lieblingswerke, welches das oben<br />

Gesagte verdeutlichen kann, hat den Titel «Proposition».<br />

Die anlässlich der 2002 in Biel geführten<br />

Debatte über die Aufstellung von Überwachungskameras<br />

im öffentlichen Raum produzierte Postkarte<br />

zeigt eine Apparatur, die folgendermassen<br />

aussieht: An einer Wand ist eine winkelförmige Trägerkonstruktion<br />

montiert, die einerseits der Wand<br />

entlang läuft, andererseits in den Raum gerichtet<br />

ist. Am Ende des an der Wand entlang führenden<br />

Trägers ist ein Vogelhäuschen montiert. Dieses hat<br />

ein kreisrundes Schlupfloch und unterhalb vorstehend<br />

ein Rundstäbchen, das für den An- und Abflug<br />

des Vogels gedacht ist. Das einfache Häuschen hat<br />

oberhalb des Schlupflochs ein vorstehendes, nach<br />

hinten abfallendes Dach. Vom anderen Ende des<br />

Vogelhäuschenträgers ist, wie gesagt, im rechten<br />

Winkel von der Wand in den Raum gerichtet, ein<br />

zweites Trägerstück montiert, an dessen Ende ebenfalls<br />

ein Kasten angebracht ist. Dieser hat die identischen<br />

Masse wie das Vogelhäuschen, nur ist er nicht<br />

vertikal, sondern in die Horizontale geneigt und aus<br />

leicht erhöhter Position gegen das Vogelhäuschen<br />

gerichtet. Wir erkennen sofort, dass es sich um eine<br />

Überwachungskamera handelt. Beide Kästen haben<br />

die gleichen schematisierten Elemente, die sie eben<br />

als Vogelhäuschen, bzw. als Überwachungskamera<br />

erkennen lassen. Bei letzterer ist das Stäbchen zur<br />

Antenne auf dem Kameradach umfunktioniert<br />

worden und das Loch zum Kameraauge, das genau<br />

auf das Anflugsstäbchen des Vogelhäuschens<br />

gerichtet ist.<br />

Diese «Proposition», also dieser Vorschlag zuhanden<br />

des öffentlichen Diskurses, argumentiert mit einem<br />

Bildwitz. Er meint: Wenn ihr schon alles beobachten<br />

wollt, dann bitte auch die Vögel! Nachdem es<br />

der Betrachterin und dem Betrachter ein Schmunzeln<br />

entlockt hat, offenbart sich die Komplexität der<br />

Arbeit. Vögel sind das Symbol für Freiheit. Wer sich<br />

frei wie ein Vogel bewegt, ist suspekt. Die Überwachung<br />

der Obrigkeit richtet sich somit auf den<br />

Vogelfreien, was aber etymologisch den Rechtlosen<br />

meint. Die Anlage stellt somit ein Gerät dar, das<br />

unmittelbar auf die Diskussion um unser Zusammenleben<br />

im öffentlichen Raum Bezug nimmt,<br />

indem es aufzeigt, dass unser Bedürfnis nach Schutz<br />

und Kontrolle dem Bedürfnis nach Freiheit und der<br />

Gefährdung persönlicher Rechte gegenübersteht.<br />

Ist René Zäch ein politischer Künstler? Wohl ja.<br />

Aber ist seine Kunst politisch? Die «Proposition»<br />

ist ein Vorschlag und keine Forderung. Sie funktioniert<br />

als Bildmaschine. Unser Auge wird gelenkt,<br />

wir werden geführt, vom Wiedererkennen über das<br />

Nachverfolgen der bildlichen Zusammenhänge hin<br />

zum Nachdenken über uns selbst. Eine gesellschaftliche<br />

Botschaft mögen diese wie andere Propositionen<br />

René Zächs haben, aber sie argumentieren mit<br />

einer Bildsprache, die in der bildnerischen Kunst<br />

selbst wurzelt. Reduktion und Modellhaftigkeit,<br />

minimaler Einsatz der Materialien, Zurücknehmen<br />

der Person, Hervorheben der Form, das Serielle<br />

und Modulare, das sind formale Kriterien, die<br />

René Zäch stets im Auge behält und die seine Kunst<br />

im Kontext wichtiger künstlerischer Traditionen<br />

verorten.<br />

René Zäch ist ein Kind seiner Zeit: Sozialisiert in<br />

der internationalen Kunst der 60er- und 70er-Jahre,<br />

gehört er heute zu den wenigen herausragenden<br />

Schweizer Vertretern jener internationalen Kunstbewegungen,<br />

die mit minimalistischer Formensprache<br />

und konzeptuellem Ansatz ein neues Denken in<br />

die Kunst eingebracht haben.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!