Bieler Jahrbuch 2007 - mémreg - regionales Gedächtnis
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der nicht fährt? René Zächs irritierenden, bisweilen<br />
witzigen, aber immer schönen Objekte können als<br />
Kommentare zu gesellschaftlichen Zusammenhängen,<br />
die uns alle betreffen, gelesen werden. Seine<br />
Objekte, Zeichnungen, Fotografien und Installationen<br />
sind, wie alle gute Kunst, tiefgründig und mehrdimensional,<br />
gleichermassen schön wie irritierend,<br />
schwergewichtig und von grosser Leichtigkeit.<br />
Eines meiner Lieblingswerke, welches das oben<br />
Gesagte verdeutlichen kann, hat den Titel «Proposition».<br />
Die anlässlich der 2002 in Biel geführten<br />
Debatte über die Aufstellung von Überwachungskameras<br />
im öffentlichen Raum produzierte Postkarte<br />
zeigt eine Apparatur, die folgendermassen<br />
aussieht: An einer Wand ist eine winkelförmige Trägerkonstruktion<br />
montiert, die einerseits der Wand<br />
entlang läuft, andererseits in den Raum gerichtet<br />
ist. Am Ende des an der Wand entlang führenden<br />
Trägers ist ein Vogelhäuschen montiert. Dieses hat<br />
ein kreisrundes Schlupfloch und unterhalb vorstehend<br />
ein Rundstäbchen, das für den An- und Abflug<br />
des Vogels gedacht ist. Das einfache Häuschen hat<br />
oberhalb des Schlupflochs ein vorstehendes, nach<br />
hinten abfallendes Dach. Vom anderen Ende des<br />
Vogelhäuschenträgers ist, wie gesagt, im rechten<br />
Winkel von der Wand in den Raum gerichtet, ein<br />
zweites Trägerstück montiert, an dessen Ende ebenfalls<br />
ein Kasten angebracht ist. Dieser hat die identischen<br />
Masse wie das Vogelhäuschen, nur ist er nicht<br />
vertikal, sondern in die Horizontale geneigt und aus<br />
leicht erhöhter Position gegen das Vogelhäuschen<br />
gerichtet. Wir erkennen sofort, dass es sich um eine<br />
Überwachungskamera handelt. Beide Kästen haben<br />
die gleichen schematisierten Elemente, die sie eben<br />
als Vogelhäuschen, bzw. als Überwachungskamera<br />
erkennen lassen. Bei letzterer ist das Stäbchen zur<br />
Antenne auf dem Kameradach umfunktioniert<br />
worden und das Loch zum Kameraauge, das genau<br />
auf das Anflugsstäbchen des Vogelhäuschens<br />
gerichtet ist.<br />
Diese «Proposition», also dieser Vorschlag zuhanden<br />
des öffentlichen Diskurses, argumentiert mit einem<br />
Bildwitz. Er meint: Wenn ihr schon alles beobachten<br />
wollt, dann bitte auch die Vögel! Nachdem es<br />
der Betrachterin und dem Betrachter ein Schmunzeln<br />
entlockt hat, offenbart sich die Komplexität der<br />
Arbeit. Vögel sind das Symbol für Freiheit. Wer sich<br />
frei wie ein Vogel bewegt, ist suspekt. Die Überwachung<br />
der Obrigkeit richtet sich somit auf den<br />
Vogelfreien, was aber etymologisch den Rechtlosen<br />
meint. Die Anlage stellt somit ein Gerät dar, das<br />
unmittelbar auf die Diskussion um unser Zusammenleben<br />
im öffentlichen Raum Bezug nimmt,<br />
indem es aufzeigt, dass unser Bedürfnis nach Schutz<br />
und Kontrolle dem Bedürfnis nach Freiheit und der<br />
Gefährdung persönlicher Rechte gegenübersteht.<br />
Ist René Zäch ein politischer Künstler? Wohl ja.<br />
Aber ist seine Kunst politisch? Die «Proposition»<br />
ist ein Vorschlag und keine Forderung. Sie funktioniert<br />
als Bildmaschine. Unser Auge wird gelenkt,<br />
wir werden geführt, vom Wiedererkennen über das<br />
Nachverfolgen der bildlichen Zusammenhänge hin<br />
zum Nachdenken über uns selbst. Eine gesellschaftliche<br />
Botschaft mögen diese wie andere Propositionen<br />
René Zächs haben, aber sie argumentieren mit<br />
einer Bildsprache, die in der bildnerischen Kunst<br />
selbst wurzelt. Reduktion und Modellhaftigkeit,<br />
minimaler Einsatz der Materialien, Zurücknehmen<br />
der Person, Hervorheben der Form, das Serielle<br />
und Modulare, das sind formale Kriterien, die<br />
René Zäch stets im Auge behält und die seine Kunst<br />
im Kontext wichtiger künstlerischer Traditionen<br />
verorten.<br />
René Zäch ist ein Kind seiner Zeit: Sozialisiert in<br />
der internationalen Kunst der 60er- und 70er-Jahre,<br />
gehört er heute zu den wenigen herausragenden<br />
Schweizer Vertretern jener internationalen Kunstbewegungen,<br />
die mit minimalistischer Formensprache<br />
und konzeptuellem Ansatz ein neues Denken in<br />
die Kunst eingebracht haben.