Bieler Jahrbuch 2007 - mémreg - regionales Gedächtnis
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Nach dem Neuaufbau des<br />
Inneren hinter den beibehaltenen<br />
Fassaden im<br />
Jahre 1764 erhielten die<br />
neuen Räume eine überaus<br />
reiche Ausstattung,<br />
wovon vor allem Täfer<br />
erhalten sind. Freilegung<br />
der eichenen Decke von<br />
späteren Übermalungen.<br />
Foto: Denkmalpflege<br />
des Kantons Bern,<br />
Jürg Schweizer<br />
Waldleuten nebenan, um 1561, schob man die Fassade<br />
zulasten des öffentlichen Raumes um dieses<br />
Mass vor und errichtete die Laube samt der seltsam<br />
abgewinkelten Fassade – eine höchst ungewöhnliche<br />
und etwas verkrampfte Lösung, um dem Nachbarn,<br />
Ring 12, kein Fensterlicht zu rauben. Die zusammen<br />
mit dem Zunfthaus ausgeführte Baumassnahme<br />
lässt sich problemlos am gemeinsamen Strebepfeiler<br />
ablesen. Bei diesem Umbau des Hauses Ring 10<br />
wurden in veränderter Lage neue Geschossdecken<br />
eingefügt. Wir kennen weder die Einteilung noch<br />
die Erschliessung des Hauses, doch ein wichtiges<br />
Ausstattungselement ist erhalten geblieben: Eine<br />
ganze Wand mit Malereien!<br />
MORALISIERENDES GASTHAUS?<br />
Im nordseitigen, sich auf den Ring öffnenden<br />
Zimmer des 2. Stockwerks kam an der Brandmauer<br />
zum Zunfthaus auf der ganzen Länge des Raumes<br />
hinter einem späteren Täfer eine figürliche, allerdings<br />
übertünchte Malerei zum Vorschein, die im<br />
1561 erbauten Haus zweifellos einen Hauptraum<br />
geschmückt hat. Da sich auf dem Putz von 1561 1 zwei<br />
Kalkanstriche befinden, ist sicher, dass die Szenen<br />
eine oder zwei Generationen nach dem Hausbau in<br />
Secco-Technik aufgemalt wurden. Auch die modische<br />
Bekleidung der Männerfiguren spricht für die<br />
Zeit kurz vor oder um 1600. Eigentümer war damals<br />
Niklaus Amsler 2 , ein Angehöriger der <strong>Bieler</strong> Oberschicht,<br />
welcher im Haus eine Wirtschaft betrieb. Die<br />
später, vielleicht im frühen 18. Jahrhundert, übertünchte<br />
Malerei wurde von Restaurator Hans-Jörg<br />
Gerber im Auftrag der Kantonalen Denkmalpflege<br />
freigelegt, da die sichtbaren Spuren eine ungewöhnliche<br />
Ikonographie zeigten. Was ist dargestellt?<br />
In der Wandmitte trennen harmonische Blütenranken<br />
das mit schwarzen Linien umrandete Bild<br />
in zwei Teile. Auf der Innenseite, gegen den Ofen<br />
hin, sind zwei gegeneinander gerichtete Frauen<br />
dargestellt: links eine Stehende in langem, nur die<br />
Füsse freilassendem Gewand, die in der Rechten ein<br />
christliches Kreuz, in der Linken einen schlichten<br />
Kelch empor hält – zweifellos die Darstellung der<br />
Fides, des Glaubens; die rechte, gleich gewandete<br />
Frauengestalt kniet und hält die Hände zum Gebet<br />
erhoben. Die Sonne tritt hinter einem Wolkenband<br />
hervor und ihre Strahlen fallen auf die kniende<br />
Gestalt: Demut, Gebet und Glauben bringen Sonnenschein,<br />
Segen, Wärme, führen zum Licht – das<br />
ist die Aussage des Bildes. 3<br />
Ganz anders die Szene in der Nähe des Fensters:<br />
Zwei bärtige Männer in vornehmer, modischer Kleidung<br />
– Pluderhosen, eng anliegendes Wams, Halskrause,<br />
dekorativ gebundene Strümpfe, am Boden<br />
abgelegte, mit buschigen Federn geschmückte Filzhüte<br />
– sind in einen Kampf verwickelt. Der Linke hat<br />
sein Zweihänderschwert vor sich auf Augenhöhe<br />
gehoben und stösst nach rechts, wo ein zweiter Mann<br />
seinen Zweihänder über die Schulter schwingt und<br />
offensichtlich zum Schlag nach links ausholt. Zwischen<br />
den beiden, aber offensichtlich nicht das Ziel<br />
ihres Angriffs, steht in leichter Grätschstellung eine<br />
junge nackte Frau mit offenem Haar, die über seltsamen<br />
Gegenständen zu schweben scheint. Sie hebt<br />
mit der Rechten einen Lorbeerkranz, den sie offen-