Bieler Jahrbuch 2007 - mémreg - regionales Gedächtnis
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sichtlich im Begriff ist,<br />
sich selber aufs Haupt<br />
zu legen, mit der Linken<br />
scheint sie einen Gegenstand<br />
vor ihre Scham zu<br />
halten. Es handelt sich<br />
wohl um die Personifikation<br />
der Voluptas. Ihre<br />
Nacktheit hat bereits im<br />
17. Jahrhundert, oder<br />
vor der Übertünchung,<br />
zu Verletzung der Malerei<br />
im Geschlechts- und<br />
Gesichtsbereich geführt.<br />
Unter den Gegenständen,<br />
die zu Füssen der<br />
nackten Frau ausgelegt sind, befinden sich zwei<br />
Degen, ein reich geschmückter Kelch, die zwei<br />
genannten Hüte, eine Weinkanne aus der Gase aufsteigen<br />
und ein zweites Gefäss, aus dessen Deckel<br />
eine Dampfwolke steigt, zwei gekreuzte Hörner<br />
oder Elefantenstosszähne, ein entweichendes Tier.<br />
Die Gegenüberstellung der keusch bekleideten<br />
Personifikationen von Frömmigkeit und Glauben,<br />
denen die Sonne aufgeht, und von Kampf, Sexualität,<br />
betonter Mode, von Luxus (Hüte, Elfenbein?) und<br />
Trunksucht (reich dekorierter Kelch, Weinkanne,<br />
Schnaps-Brennhafen?) meint Gut und Böse, vergeistigtes,<br />
in der Religion aufgehobenes und weltliches,<br />
dem Luxus verfallenes Leben. Lebenssymbol<br />
sind wahrscheinlich die Blütenranken, die eine Art<br />
Lebensbaum darstellen sollen. Der spielkartenartige<br />
grafische Stil der Malereien, eigentlich Pinselzeichnungen<br />
mit farbigen Ausmalungen und plastischen<br />
Höhungen, ist für die Zeit um 1600 nicht untypisch.<br />
Nicht zu verkennen sind gewisse ungelenke Bewegungen<br />
und naive Gesichtsdarstellungen. Daneben<br />
aber fallen besonders geglückte Verkürzungen und<br />
der sichere Pinselstrich auf. Es ist natürlich davon<br />
auszugehen, dass die Stube im 2.Obergeschoss nicht<br />
als Gaststube gedient hat – diese dürfte vielmehr im<br />
Erdgeschoss zu suchen sein.<br />
Unlösbare Frage: Was war auf der anderen (verlorenen)<br />
Zimmerwand dargestellt? Was wäre im<br />
1. Stock hinter dem beibehaltenen Täfer zu finden?<br />
Was in der vermuteten Gaststube hinter dem Laubenbogen?<br />
EIN SCHICKES HAUS AUS DER BAROCKZEIT<br />
1764 kernte der ehemalige Stadtschreiber und neu<br />
gebackene Burgermeister (Stadtpräsident) Johann<br />
Heinrich Bloesch das Haus weitgehend aus, 4 behielt<br />
einzig Brandmauern und Fassaden bei, versah sie<br />
jedoch mit zeitgenössischen Einzelfenstern, weil<br />
die gotischen Reihenfenster definitiv als altmodisch<br />
galten. Er liess das Innere mit anderen Stockwerkhöhen<br />
neu aufbauen, errichtete ein grosszügiges,<br />
bequemes Treppenhaus aus Stein mit schönen Vestibülen.<br />
Im ersten und zweiten Stock entstanden<br />
je zwei grosse Stuben gegen den Ring und gegen<br />
Süden, zum engen Gässchen. Zwischen den Stuben<br />
im ersten Stock wurde die gefangene Küche eingerichtet,<br />
im zweiten Stock ein Heizgang, davor je eine<br />
Decke im zweiten Obergeschoss<br />
nach der<br />
Freilegung, Restaurierung<br />
und Neubehandlung<br />
mit Schelllack: eine<br />
der reichsten Rokoko-<br />
Decken im Kanton.<br />
Foto: Denkmalpflege<br />
des Kantons Bern,<br />
Markus Beyeler<br />
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