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Vorwort - Fritz Thyssen Stiftung

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ALTERTUMSWISSENSCHAFT; ARCHÄOLOGIE<br />

schen als ein gottfernes Exil verstanden werden muss. Ob und wie<br />

diese beiden, je für sich wirkungsgeschichtlich folgenreichen Aspekte<br />

seiner Dichtung philosophisch und poetisch miteinander verbunden<br />

waren, ist in der Forschung bis heute umstritten. Das hat seinen<br />

Grund unter anderem darin, dass die Texte des Empedokles in den<br />

derzeit bekannten mittelalterlichen Handschriften nur indirekt überliefert<br />

sind, also durch Zitate und Testimonien anderer Autoren. Diese<br />

indirekte Überlieferung ist zwar bei Empedokles umfangreicher als<br />

bei jedem griechischen Philosophen vor ihm, aber erstens sind diese<br />

Texte von Hermann Diels im 19. Jahrhundert nur bis zum spätantiken<br />

Neuplatonismus systematisch erfasst und sogar in der maßgeblichen<br />

wissenschaftlichen Edition der Poetarum Philosophorum Fragmenta<br />

von 1901 nur in einer Auswahl dokumentiert worden. Zweitens<br />

erlaubt der Filter der indirekten Überlieferung nicht zu ermitteln,<br />

inwieweit die Verbindung von Physik und Daimonologie – samt den<br />

sie ermöglichenden Verfahren von Personifikation und Allegorie –<br />

ihren Ort schon in der poetischen Produktion des Philosophen selbst<br />

hatte oder erst in seiner späteren Rezeption.<br />

1994 wurden in der Bibliothèque Nationale et Universitaire de Strasbourg<br />

unedierte Bruchstücke aus einer antiken Papyrushandschrift<br />

des Empedokleischen Naturgedichts identifiziert, die ca. 80 mehr<br />

oder minder vollständige Verse enthalten und die von Martin und<br />

Primavesi, in der kommentierten editio princeps 1999 publiziert wurden.<br />

Erstmalig liegen damit direkt überlieferte Textfragmente vor. Die<br />

inhaltliche Bedeutung dieses Fundes besteht darin, dass er das Problem<br />

der systematischen Beziehungen zwischen Physik und Daimonologie<br />

unabweisbar von Neuem aufwirft: Denn in jenen Fragmenten<br />

erscheinen Formulierungen, die eindeutig dem theoretischen Horizont<br />

der Empedokleischen Physik zugehören, unmittelbar mit solchen<br />

verbunden, die als Bezugnahme auf den gefallenen Gott verstanden<br />

werden müssen.<br />

Eine Interpretation dieser Papyrusfragmente ist freilich ohne Rückgriff<br />

auf die indirekte Überlieferung nur sehr eingeschränkt möglich.<br />

Um dabei die Gefahr einer zirkulären Argumentation zu vermeiden,<br />

d.h. in den Fund nicht spätere Interpretationen hineinzuprojizieren,<br />

ist ein rezeptionsgeschichtlich reflektierter Umgang mit der Überlieferung<br />

unabdingbar.<br />

Deshalb plant Prof. Primavesi eine interpretierende Darstellung der<br />

Empedokles-Rezeption in Antike und byzantinischem Mittelalter. Sie<br />

soll die Überlieferung der Originaltexte und Zeugnisse vollständig<br />

erfassen und ihre verschiedenen Stränge sowie deren je verschiedene<br />

Methoden und Ziele erhellen. Die Dokumentation wird drei historische<br />

Schwerpunkte haben, zu denen sich die intensivste Empedokles-Rezeption<br />

nachweisen lässt:<br />

– der Peripatos (Aristoteles, Theophrast, Eudem), Plutarch und<br />

Simplicius (als Höhepunkt der neu-platonischen Rezeption seit<br />

Plotin und Porphyrius);<br />

Seite 95

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