18.11.2012 Aufrufe

Vorwort - Fritz Thyssen Stiftung

Vorwort - Fritz Thyssen Stiftung

Vorwort - Fritz Thyssen Stiftung

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

PHILOSOPHIE<br />

politik, beim Umbau des Sozialstaats, der Erneuerung der Gesundheitssysteme<br />

und der Reform des Arbeitsmarktes, aber auch in internationalen<br />

politischen und ökonomischen Zusammenhängen. Der<br />

Ruf nach Verantwortung ertönt in den unterschiedlichsten Bereichen<br />

unserer Gesellschaft. Die Bundesregierung fordert die verstärkte<br />

Eigenverantwortung der Bürger in der medizinischen Selbstversorgung<br />

und der Finanzierung der Renten. Firmen und Konzerne schreiben<br />

sich die Leitlinien der Corporate Social Responsibility auf ihre<br />

Fahnen. Umweltinitiativen, Bürgerrechtsbewegungen und NGOs<br />

klagen die globale Verantwortung der Industrienationen für den<br />

nachhaltigen Umgang mit natürlichen Ressourcen und die Belange<br />

unterentwickelter Länder ein.<br />

Die allerorten zu beobachtende Zunahme an Verantwortungsforderungen<br />

steht jedoch in krassem Widerspruch zu den gesellschaftlichen<br />

Realitäten. In hochmodernen Gesellschaften, die auf der<br />

Herausbildung von eigenständigen Funktionssystemen wie der Wirtschaft,<br />

dem Recht, der Politik, der Wissenschaft und Technik beruhen,<br />

wird es immer schwieriger, für die in Gang gesetzten Prozesse verantwortliche<br />

Urheber und Ursachen zu finden. Klimatisch bedingte<br />

Überschwemmungen und Waldbrände, periodisch wiederkehrende<br />

Tierseuchen und Lebensmittelskandale, unternehmerische Bilanzfälschungen<br />

und Gewinnmanipulationen sind nur einige Beispiele<br />

dafür, wie schwierig es ist, mit moralischen Forderungen auf ökonomische<br />

Prozesse einzuwirken und kollektive Schadensverläufe auf<br />

eindeutig identifizierbare Ursachen und Verursacher zurückzuführen.<br />

Normative Unsicherheit und kognitive Ungewissheit sind zu<br />

Hauptkennzeichen hochmoderner Gesellschaften geworden, die durch<br />

die Entwicklung zu vernetzten Wissens- und Informationsgesellschaften<br />

vor neue Handlungsherausforderungen gestellt sind.<br />

Die Zielsetzung des Forschungsvorhabens besteht darin, ein anwendungsorientiertes<br />

Verantwortungskonzept zu erarbeiten, das den gewandelten<br />

Kontexten hochkomplexer Sozialsysteme angemessen ist.<br />

Zu diesem Zweck sollen keine neuen Verantwortungsethiken, sondern<br />

systematische Grundstrukturen entwickelt werden, die durch<br />

entsprechende Differenzierungen den jeweiligen Problemkontexten<br />

angepasst werden. Es geht darum, ein integratives Verantwortungskonzept<br />

zu entwerfen, das durch methodische Universalität und kontextualistische<br />

Spezifität zugleich gekennzeichnet ist.<br />

Die leitenden Frage lautet: Wie können Akteure in komplexen sozialen<br />

Prozessen zur Verantwortung gezogen werden und Verantwortlichkeiten<br />

übernehmen, ohne dass ungerechtfertige Zurechnungen<br />

und normativ-kognitive Überforderungen entstehen. Hierzu ist es<br />

erforderlich, von den bestehenden soziokulturellen Verhältnissen<br />

auszugehen, in die Individuen, Gruppen, Verbände, Unternehmen,<br />

Institutionen und Organisationen eingebunden sind. Dieses Vorgehen<br />

beruht auf einem kontextualistischen Ansatz, der die Akteursperspektive<br />

mit der Strukturlogik komplexer Sozialprozesse verbindet.<br />

Gegen die falsche Polarisierung von Handlungstheorie und<br />

Seite 15

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!