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Vorwort - Fritz Thyssen Stiftung

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Mu’tazilite<br />

Manuscripts<br />

Seite 20<br />

GESCHICHTE, SPRACHE UND KULTUR<br />

Die erstgenannte Handschrift zählt zu den kultisch-liturgischen Texten<br />

– der Kultus ist die Grundlage des gesamten religiösen Lebens der<br />

Mandäer –, die nur für Priester bestimmt waren. Sie enthalten Ritenkommentare<br />

und sog. „geheime“ Texte, in denen die priesterliche<br />

Lehre dargelegt wird. Die Totenmesse, die Gegenstand des Zihrun<br />

Raza Kasia ist, wurde in der Forschung bislang noch nicht beschrieben<br />

und behandelt.<br />

Die zweite Handschrift ist die populärste und sogleich umfangreichste<br />

mandäische Rolle magischen Inhalts. Diese magischen Texte verwenden<br />

einen anderen Wortschatz als die theologischen und rituellen<br />

Werke und dokumentieren die Entwicklung religiöser Vorstellungen<br />

von der vorislamischen Zeit bis in die spätere Periode der mandäischen<br />

Geschichte. Als Komplement zu den priesterlichen Spekulationen<br />

und den mythischen Werken gewähren sie einen Einblick in<br />

die Vorstellungen von Krankheit, Unglück und Schicksal des einfachen<br />

Mandäers.<br />

Beide Textrollen sollen sprachlich sowie in ihrem kultischen bzw.<br />

dämonologischen Gehalt erschlossen werden. Dabei soll insbesondere<br />

die Herausbildung der Tradierung priesterlichen Fachwissens<br />

sowie das Verhältnis des mandäischen Gedankengutes zu anderen<br />

Kulturen erhellt werden, das charakteristisch für Texte jener synkretistischen<br />

Religion ist.<br />

Prof. S. Schmidtke (Institut für Islamwissenschaft, Fachbereich<br />

Geschichts- und Kulturwissenschaften, Freie Universität Berlin) und<br />

Dr. D. Sklare (Center for the Study of Judeo-Arabic Literature, Ben<br />

Zvi Institute, Jerusalem) erhalten <strong>Stiftung</strong>smittel für das Projekt<br />

„Mu’tazilite Manuscripts“<br />

Die Mutazila war eine mittelalterliche theologische Schule, welche<br />

die spekulative Dogmatik im Islam begründet hat. Sie betonte die Bedeutung<br />

der Vernunft und des freien Willens und beschäftigte sich mit<br />

Fragen nach der Wesenheit Gottes und des Menschen, der Offenbarung<br />

und dem göttlichen Gesetz. Unter dem Kalifen Mamun wurde<br />

die Mutazila 827 zur offiziellen Lehre. Der Widerstand der muslimischen<br />

Orthodoxie erreichte allerdings, dass bereits unter dem Kalifen<br />

Mutawakkil (847 bis 861) die Vorherrschaft der Mutazila gebrochen<br />

wurde. Im sunnitischen Islam verlor diese theologische Schule völlig<br />

ihre Bedeutung. Einfluss behielt die dagegen bei den schiitischen<br />

Richtungen des Islam und im karaitischen Judentum, einer um das<br />

Jahr 765 von Anan ben David in Bagdad gegründeten Glaubensrichtung,<br />

deren Mitglieder nur die buchstabengetreue Auslegung der<br />

jüdischen Schriften akzeptieren. Karaitische Gelehrte erstellten Kopien<br />

und Übersetzungen der mutazilitischen Literatur und setzten<br />

sich mit den Lehren der Mutazila kritisch auseinander. Einige der geistigen<br />

Köpfe der alten jüdischen Akademien von Sura und Pumbedita<br />

in Bagdad übernehmen in ihren Werken sogar die mutazilitische<br />

Weltsicht. In der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts spaltete sich die<br />

mutazilitische Bewegung in zwei Hauptrichtungen: die Schulen von

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