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Vorwort - Fritz Thyssen Stiftung

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GESCHICHTSWISSENSCHAFTEN<br />

Einmarsch der deutschen Wehrmacht begann. Als weiterer Schritt<br />

folgte die Isolierung der jüdischen Bevölkerung in Ghettos, die ab<br />

Juli in fast allen Städten des Landes als Orte der systematischen<br />

Entrechtung und Ausbeutung der Juden errichtet wurden. So wurden<br />

die Inhaftierten unter Hungerrationen zur Zwangsarbeit erpresst.<br />

Etwa zeitgleich setzten auch Massentötungsaktionen ein, die bis<br />

Herbst 1942 fast alle einem bestimmten Grundmuster folgten: Es gab<br />

kaum Massaker, dem keine „Selektion“ der noch benötigten Arbeitskräfte<br />

vorausging. Gerade Alte, Kranke, Schwache und Kinder fielen<br />

immer wieder Mordaktionen zum Opfer. Ab Herbst 1942 erfolgte ein<br />

Wandel in der „Judenpolitik“ der deutschen Besatzungsmacht: Im<br />

Zuge der Liquidierung der Ghettos wurden die Massenmorde auf<br />

ausnahmslos alle noch verbleibenden Juden ausgedehnt. Dieser<br />

Vernichtungskampagnen unterlagen nach Gerlach nicht mehr<br />

ökonomischer Kalkulationen, sondern waren einzig durch die antisemititische<br />

Ideologie der deutschen Besatzungsmacht sowie der<br />

Reichszentrale in Berlin motiviert.<br />

Diese Grundmuster des Judenmordes in Weißrussland – von der Ausbeutung<br />

zur Vernichtung – wurde auch in Minsk angewandt. Wie<br />

Gerlach gezeigt hat, verlief die Organisation und Durchführung der<br />

NS-Judenvernichtung in Weißrussland allerdings nicht synchron,<br />

sondern in Abhängigkeit von spezifischen lokalen Gegebenheiten<br />

wie etwa der Wohnungs- und Ernährungslage, dem Arbeitskräftebedarf,<br />

dem Kriegsverlauf sowie den Interessen und Motivationen<br />

der Machtträger vor Ort. Entsprechend dürfte die Rekonstruktion<br />

örtlicher Vorgänge zu einer Erweiterung und Vertiefung der Kenntnisse<br />

über die Planung und Umsetzung der NS-Vernichtungspolitik<br />

in Weißrussland beitragen.<br />

Vor dem Hintergrund der Befunde der Geschichtsschreibung zur<br />

NS-Vernichtungspolitik, der Konzentrationslager- und Weißrusslandforschung<br />

liegen die Ziele des Forschungsvorhabens<br />

– in der Erstellung einer präzisen Topographie des Minsker Ghettos<br />

und des Lagerkomplexes von Maly Trostenec und seiner Exekutionsplätze<br />

Blagovs˘c˘ina und S˘ as˘kovka sowie in der Erarbeitung<br />

einer Chronologie dieser Mordstätten und in einer möglichst genauen<br />

Erfassung der Opferzahl,<br />

– in der Rekonstruktion der unterschiedlichen Phasen deutscher Politik<br />

gegenüber Ghetto und Lager und den daraus resultierenden<br />

verschiedenen Funktionen dieser Orte unter Berücksichtigung des<br />

Planungshorizontes der Verantwortlichen in der Reichszentrale,<br />

des Verhaltens und der Motivation der Machtträger vor Ort sowie<br />

des Kriegsverlaufes,<br />

– in der Identifizierung von Überlebensstrategien insbesondere der<br />

Ghetto-Insassen in den verschiedenen Phasen deutscher Vernichtungspolitik,<br />

wobei hier sowohl die Rolle des Judentums und der<br />

Vertreter des jüdischen Widerstands in den Blick zu nehmen als<br />

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