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Vorwort - Fritz Thyssen Stiftung

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Polarexpeditionen<br />

1900-1945<br />

Seite 58<br />

GESCHICHTE, SPRACHE UND KULTUR<br />

vom individuellen Menschen auf den gesamten „Volkskörper“. Beide<br />

mussten, so das ärztliche Selbstverständnis, medizinisch versorgt<br />

werden, um die Gesellschaft militärisch und industriell funktionstüchtig<br />

zu machen. Angesichts einer im Krieg physisch und psychisch<br />

im höchsten Maße geschädigten Bevölkerung traten die Ärzte<br />

verstärkt als Experten hervor, die sich am Wiederaufbau einer wehrund<br />

arbeitsfähigen, d.h. aus ärztlicher Sicht „gesünderen“ Gesellschaft<br />

maßgeblich zu beteiligen suchten. Der Krieg schuf also neue<br />

Impulse für ein Diskurs- und Aktionsfeld, das es den Ärzten ermöglichte,<br />

die Gesamtgesellschaft einer medizinischen Diagnose zu<br />

unterziehen sowie den Zerstörungen des Kriegs ein spezifisch ärztliches<br />

Gestaltungsfeld, die Arbeit an einem „gesunden“ Volkskörper,<br />

entgegenzustellen. Das Projekt will im deutsch-französischen Vergleich<br />

dazu beitragen, die Bedeutung des Ersten Weltkriegs und<br />

einer hochgradig militarisierten Medizin für die ärztliche Professionalisierung<br />

sowie für die gesellschaftliche Medikalisierung angemessen<br />

einschätzen zu können.<br />

In einem ersten Schritt werden Professionsmerkmale und strukturelle<br />

Handlungsrahmen der deutschen und der französischen Ärzteschaft<br />

gegenübergestellt – Ausmaß der Berufsautonomie gegenüber<br />

dem Staat, den Patienten oder dritten Instanzen wie den Krankenkassen,<br />

Organisierungsgrad und -formen, Einkommensstrukturen,<br />

Ausbildungswege und generations- und geschlechtsspezifische Zusammensetzung<br />

der Ärzteschaft.<br />

Anhand konkreter ärztlicher Aktionsfelder (Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten,<br />

Kampagne gegen Alkohol- und Tabakgenuss,<br />

Ernährungsgewohnheiten, psychische Kriegsfolgen) werden sodann<br />

die handlungsleitenden Vorstellungswelten der beiden nationalen<br />

Ärzteschaften verglichen. Der ärztliche Kriegsdiskurs über die hygienischen<br />

Maßnahmen fiel unterschiedlich aus, je nachdem ob er sich<br />

auf den Soldaten-, den Frauen- oder den „Volkskörper“ insgesamt<br />

richtete. Gefragt wird nach den Gesellschaftskonzepten, die diesen<br />

Vorstellungen zugrunde lagen, und nach den Veränderungen im Laufe<br />

des Krieges. Erkennbar wird das von Ärzten entworfene Bild der<br />

gegenwärtigen und der künftigen Gesellschaft und den Aufgaben,<br />

die den Medizinern und jedem einzelnen Bürger für die Gesundheit<br />

des Individuums und des „Volkskörpers“ zugemessen wird.<br />

Die Studie fragt vor allem nach dem internen ärztlichen Austausch<br />

unter Allgemeinmedizinern, deren Fachpresse die zentrale Quellengrundlage<br />

bildet. Zusätzlich werden Handbücher und Kompendien<br />

sowie medizinische Nachschlagewerke ausgewertet. Um einschätzen<br />

zu können, wie dieser fachlich-akademische Diskurs den populärwissenschaftlichen<br />

beeinflusst hat, werden ergänzend auch Schriften,<br />

die sich an ein Laienpublikum richteten, einbezogen.<br />

Prof. K. Reich (Institut für Geschichte der Naturwissenschaften, Mathematik<br />

und Technik, Universität Hamburg) erhält für die Wissenschaftsgeschichtliche<br />

Aufarbeitung ausgewählter deutscher Polar-

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