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antragsbuch_2015

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kapitalistischer Verwertungslogik so falsch, wie folgerichtig. Dafür sehen wir in der<br />

Globalisierung eine Chance eine solidarische Weltgesellschaft zu schaffen. Das 'Global Village'<br />

darf allerdings dazu nicht den aktuellen Machtverhältnissen überlassen werden.<br />

Dabei ist diese Debatte jedoch eine scheinheilige. Viele der strukturellen Nachteile der Länder<br />

des globalen Südens sind der kolonialen Vergangenheit anzulasten. Die heutigen<br />

„wohlwollenden“ Geldgeber, zumeist ehemaligen Kolonialmächte, wurden für ihre Verbrechen<br />

und die durch sie verursachten sozialen, kulturellen und strukturellen Probleme nie zur<br />

Rechenschaft gezogen. Etliche Völkermorde, wie etwa jener der Deutschen Kolonialtruppen an<br />

den Herero, Nama, Damara und San in Namibia, werden bis heute nicht als solche anerkannt.<br />

Neben dem heutigen Namibia geschah dies auch im heutigen Tansania (z.B. gegen den Maji-<br />

Maji-Aufstand), Kamerun (z.B. mit der 'Pazifizierung' des Binnenlandes), in Togo (durch<br />

Ausbeutung und Zerstörung ganzer Orte), im Südpazifik (z.B. mit der Niederschlagung des<br />

Sokehs-Aufstand) oder in Kiautschou (z.B. mit der Gewalt gegen den "Boxeraufstand" /<br />

Aufstand der Yihetuan). Grund dafür ist zumeist die Sorge vor Entschädigungsforderungen.<br />

Diese könnten zwar lediglich symbolische Bedeutung haben, da das angetane Leid und die<br />

Folgen für die Betroffenen nie aufgewogen werden können. Dennoch wäre diese Anerkennung<br />

wichtig und auch für die Debatte über Entwicklungszusammenarbeit relevant. An allen Orten,<br />

wo das Deutsche Reich als auch die anderen Kolonialmächte aktiv wurden, haben sie<br />

Verbrechen begangen. Ein klares Schuldeingeständnis für diese Verbrechen ist nicht nur auf<br />

einer persönlichen Ebene bedeutsam. Sondern dies würde auch bedeuten, dass die<br />

ehemaligen Kolonialmächte endlich anerkennen müssen, dass sie die Hürden, welche den<br />

Ländern des globalen Südens bis heute begegnen, (mit)verursacht haben.<br />

Neben den Entschädigungen für die begangenen Verbrechen muss die Debatte jedoch auch auf<br />

einer strukturellen Ebene geführt werden, denn auch der Kolonialismus als solcher wirkt sich bis<br />

heute negativ auf die Länder des Globalen Südens aus. Eines von vielen Beispielen sind die<br />

aus der Kolonialzeit übrig gebliebenen, nicht nur wie alle Grenzen völlig willkürlich, sondern<br />

auch fremdbestimmt gezogenen Staatsgrenzen, welche innerstaatlichen Konflikten Vorschub<br />

leisten. Zudem fand eine schonungslose Ausbeutung der natürlichen Ressourcen, aber auch<br />

der Bevölkerung der kolonialisierten Länder statt. Die koloniale Handelspolitik fußte auf einer<br />

völligen Abhängigkeit der Länder des Globalen Südens von der Abnahme ihrer Primärprodukte<br />

durch den globalen Norden. Die Konsequenzen sind bis heute spürbar: noch immer sind die<br />

Handelsbeziehungen zwischen den Ländern des Globalen Südens sehr schwach. Der Globale<br />

Norden hingegen profitiert von dieser Abhängigkeit weiterhin und verschärft sie sogar noch<br />

zusätzlich mit einseitigen Handelsabkommen. Auch die fremdbestimmt eingeführten<br />

Bildungssysteme und –Inhalte haben bis heute negative Folgen. Selbst das Basiswissen<br />

orientiert sich bis heute an den Lehrhinhalten des Globalen Nordens, welche in vielen Ländern<br />

des Globalen Südens jedoch keinerlei Relevanz haben. Stattdessen verdrängte oder<br />

marginalisierte das koloniale Bildungssystem indigene Sprachen und Kulturen – und damit<br />

einen Reichtum, der kaum zu ersetzen sein wird.<br />

All jene Erblasten aus der Kolonialzeit treffen allein die Länder des Globalen Südens. Dabei<br />

wäre es eigentlich die Pflicht der Länder des Globalen Nordens, mindestens<br />

Reparationszahlungen für den verursachten Schaden zu Leisten. Wird heute von einer<br />

„Verschuldung“ der Länder des Globalen Südens bei jenen des Globalen Nordens gesprochen,<br />

so basiert dies auf einer schiefen Rechnung. Zieht man die Verbrechen und Spätfolgen der<br />

Kolonialzeit mit ins Kalkül, so sind es tatsächlich die Länder des Globalen Nordens, welche bei<br />

den Ländern des Globalen Südens tief in der Schuld stehen. Nur durch das beständige<br />

Abstreiten und die Relativierung der Konsequenzen des eigenen Handelns entziehen sich die<br />

ehemaligen Kolonialmächte den berechtigen Forderungen nach Entschädigungen und den<br />

Reparationsforderungen. Dieser historische Kontext lässt nicht nur die Debatten über etwaige<br />

Schulden, sondern auch jene über Entwicklungszusammenarbeit allgemein in einem anderen<br />

Licht erscheinen, als der gängige öffentliche Diskurs.<br />

Eine zentrale Ursache für Armut und Hunger sowie für die Begrenztheit der<br />

"Entwicklungszusammenarbeit" ist identisch: der Kapitalismus. Die Geschichte des<br />

Kolonialismus ist eng mit der Geschichte des Kapitalismus verwoben. Deshalb lassen sich die<br />

Lebenssituation von Milliarden Menschen nicht allein über einen Schadensausgleich für den<br />

Kolonialismus und seinen unmittelbaren Folgen dauerhaft, fundamental verbessern. Vielfach<br />

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