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antragsbuch_2015

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Werkstattbeschäftigte stehen lediglich in einem „arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnis“ (§<br />

138 Abs. 1 SGB IX), werden aber unabhängig von der häufig geringen Vergütung wie reguläre<br />

Arbeitnehmer_innen kranken-, pflege- und rentenversichert. Nach der Erfüllung einer 20-<br />

jährigen Wartezeit besteht Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung, welche gemäß § 162<br />

SGB VI 80 Prozent des Rentenniveaus eines/-er durchschnittlichen Arbeitnehmers/-nehmerin<br />

beträgt.<br />

Die Leistungsfähigkeit der Werkstattbeschäftigten ist aufgrund ihrer Behinderungen so gering,<br />

dass ihnen der Weg ins Erwerbsleben versperrt ist. Das erst begründet den Rechtsanspruch auf<br />

einen Werkstattplatz. Außerdem steht nicht die Umsatzmaximierung im Vordergrund der<br />

Werkstattarbeit: Berufliche und persönlichkeitsbildende Förderung, therapeutische und<br />

pflegerische Maßnahmen arbeitsbegleitend während der Beschäftigungszeit reduzieren den<br />

Zeitanteil für die wirtschaftlich verwertbare Leistung. Schließlich gelten auch die Pausen als<br />

Beschäftigungszeit.<br />

Das bundesdurchschnittliche Arbeitsentgelt von rd. 180 Euro pro Monat ist nur eine statistische<br />

Größe, wenn auch recht aussagefähig. Die Durchschnittsverdienste differieren von Werkstatt zu<br />

Werkstatt beträchtlich und reichen von 75 Euro bis über 600 Euro monatlich, in Einzelfällen<br />

auch mehr. Das resultiert unter anderem aus den unterschiedlichen Konzeptionen der<br />

Werkstattträger: Je nach dem, ob eher die wirtschaftliche Betätigung und produktive Leistung<br />

betont oder arbeitstherapeutische, pädagogische und gestalterische Schwerpunkte gesetzt<br />

werden. Auch Art und Schwere der Behinderungen spielen eine gravierende Rolle. Sind<br />

pflegerisch-betreuende Leistungen besonders umfangreich – von der Hilfe beim Essen und dem<br />

Toilettengang bis hin zum Waschen und Windeln, sind regelmäßige bewegungstherapeutische<br />

oder psychologische Maßnahmen erforderlich, steht eine wesentlich geringere Zeit für die<br />

produktive Tätigkeit zur Verfügung. Und selbst die verlangt nach pädagogischer Begleitung und<br />

nicht vorrangig nach einem Produktivitätsbeweis. Das sind die äußerlichen Ursachen.<br />

Der Hauptgrund für die geringe Vergütung aber liegt im offiziellen Menschenverständnis und der<br />

daraus folgenden politischen Schwerpunktsetzung: Die Rehabilitanten in allen anderen<br />

Eingliederungseinrichtungen erhalten ein existenzsicherndes Ausbildungs- oder Übergangsgeld<br />

oder haben andere Ansprüche auf gesetzliche Versorgungsleistungen. Bei ihnen geht der<br />

Gesetzgeber davon aus, dass sich die investierten Rehabilitationsleistungen "lohnen", weil<br />

diese Bevölkerungsgruppen nach den medizinischen, therapeutischen und beruflichen<br />

Eingliederungsmaßnahmen grundsätzlich wieder erwerbstätig werden können oder zumindest<br />

sollen. Bei Werkstattbeschäftigten ist das anders: Die Mehrzahl von ihnen hat wegen Art oder<br />

Schwere ihrer Behinderungen arbeitszeitlebens keine Chancen auf einen erwerbssichernden<br />

Arbeitsplatz. Sie sind bis zum Eintritt in den Altersruhestand und darüber hinaus auf<br />

kostenträchtige Assistenz, personelle, sachliche und finanzielle Hilfen angewiesen und damit im<br />

Verständnis einer produktivitätsorientierten Gesellschaft "unnütz".[8]<br />

Die Jusos Thüringen finden sich mit dieser Anschauung und der daraus resultierenden<br />

Bewertung mit ihren negativen Folgen nicht ab. Es brauchte Jahrzehnte durchzusetzen, dass<br />

jeder behinderte Erwachsene einen Rechtsanspruch auf Eingliederungsleistungen erhielt,<br />

unabhängig davon, aus welchem Grund er behindert ist – ob von Geburt, durch Arbeitsunfälle<br />

oder Kriegseinwirkungen. So muss ebenso die Zahlung eines existenzsichernden<br />

Arbeitsentgeltes unabhängig davon sein, in welcher Art und Schwere sich die Behinderung<br />

darstellt und wie hoch der individuelle Grad der Produktivität des einzelnen ist.<br />

Auch vor dem Hintergrund, dass die Jusos für das freie und selbstbestimmte Leben eines jeden<br />

Menschen eintreten, ist ein Verdienst, welcher mit der „Grundsicherung im Alter und bei<br />

Erwerbsminderung“ aufgestockt werden muss, bei deren Berechnung aber das Einkommen und<br />

Vermögen von Ehe- bzw. Lebenspartnern mit einbezogen wird und demzufolge der/die<br />

Werkstattmitarbeiter_in in ein unzulässiges Abhängigkeitsverhältnis gerät, nicht hinnehmbar.<br />

Deshalb fordern die Jusos Thüringen ein existenzsicherndes Arbeitsförderungsentgelt auf dem<br />

Niveau des steuerlichen Existenzminimums ein.<br />

Als Zusatzinformation zum Schluss die Thüringer Zahlen: Hier gibt es laut den letzten<br />

verfügbaren Angaben aus dem Jahr 2012 32 Werkstätten. In diesen sind ca. 10.000 Menschen<br />

beschäftigt. Auf zwölf Beschäftigte kommt ein Betreuer.[9] [10]<br />

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