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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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mit der Idee des historischen Effektes, der vom Christusleben ausgegangen<br />

war, zu begnügen. Diese Anschauung kam mir nicht nur schwachsinnig,<br />

sondern auch tot vor. Ich konnte mich auch nicht mit der Ansicht befreunden,<br />

die Christus in den Vordergrund rückte und ihn zur allein entscheidenden<br />

Figur im Drama <strong>von</strong> Gott und Mensch machte. Dies stand mir im absoluten<br />

Gegens<strong>at</strong>z zu Christi eigener Auffassung, daß der Hl. Geist, der ihn gezeugt<br />

h<strong>at</strong>te, nach seinem Tode ihn bei den Menschen ersetzen werde.<br />

Der Hl. Geist bedeutete mir eine adaequ<strong>at</strong>e Verdeutlichung des<br />

unvorstellbaren Gottes. Seine Wirkungen waren nicht nur erhabener N<strong>at</strong>ur,<br />

sondern auch <strong>von</strong> wunderlicher und sogar zweifelhafter Art, wie die T<strong>at</strong>en<br />

Jahwes, welch letzteren ich im Sinne meines Konfirmandenunterrichtes naiv<br />

mit dem christlichen Gottesbild identifizierte. (Auch wurde mir damals die<br />

T<strong>at</strong>sache nicht bewußt, daß der richtige Teufel erst mit dem Christentum<br />

geboren worden war). Der «her Jesus» war mir unzweifelhaft ein Mensch und<br />

daher zweifelhaft, resp. ein bloßes Sprachrohr des Hl. Geistes. Diese höchst<br />

unorthodoxe Auffassung, die mit der theologischen um 90 bis 180 Grad<br />

differierte, stieß n<strong>at</strong>ürlich auf tiefstes Unverständnis. Die Enttäuschung, die<br />

ich darüber empfand, führte mich allmählich zu einer Art <strong>von</strong> resigniertem<br />

Desinteressement, und meine Überzeugung, daß hier einzig die Erfahrung<br />

entscheiden könne, verstärkte sich immer mehr. Mit «Candide», den ich<br />

damals las, konnte ich sagen: «Tout cela est bien dit - mais il faut cultiver<br />

notre jardin», womit die N<strong>at</strong>urwissenschaft gemeint war.<br />

Im Laufe meiner ersten Studienjahre machte ich die Entdek-kung, daß die<br />

N<strong>at</strong>urwissenschaft zwar unendlich viele Kenntnisse ermöglichte, aber nur<br />

sehr spärliche Erkenntnis und diese in der Hauptsache spezialisierter N<strong>at</strong>ur.<br />

Ich wußte aus meiner philosophischen Lektüre, daß alledem die T<strong>at</strong>sache der<br />

Psyche zugrundelag. Ohne die Seele gab es weder Kenntnis noch Erkenntnis.<br />

Man hörte <strong>von</strong> ihr überhaupt nichts. Sie war zwar überall stillschweigend vorausgesetzt,<br />

aber auch wo sie erwähnt wurde, wie bei C. G. Carus, bestand<br />

keine wirkliche Kenntnis, sondern nur philosophische Spekul<strong>at</strong>ion, die so<br />

oder anders lauten konnte. Aus dieser merkwürdigen Beobachtung konnte ich<br />

nicht klug werden.<br />

Zu Ende meines zweiten Semesters aber machte ich eine folgenschwere<br />

Entdeckung: ich fand in der Bibliothek des V<strong>at</strong>ers eines meiner<br />

Studienfreunde, eines Kunsthistorikers, ein kleines Büchlein aus den siebziger<br />

Jahren über Geistererscheinungen. Es war ein<br />

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