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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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Zu dieser Ansicht bin ich durch die Beobachtung <strong>von</strong> <strong>Träume</strong>n über<br />

Verstorbene gekommen. So träumte ich einmal, daß ich einen Freund<br />

besuchte, der etwa vierzehn Tage zuvor gestorben war. In seinem Leben h<strong>at</strong>te<br />

er nie etwas anderes gekannt als eine konventionelle Weltanschauung, und in<br />

dieser reflexionslosen Haltung war er stecken geblieben. Seine Wohnung<br />

befand sich auf einem Hügel, ähnlich dem Tüllinger Hügel bei Basel. Dort<br />

stand ein altes Schloß, dessen Ringmauer einen Pl<strong>at</strong>z mit einer kleinen Kirche<br />

und einigen kleineren Gebäuden umgab. Er erinnerte mich an den Pl<strong>at</strong>z beim<br />

Schloß Rapperswil. Es war Herbst. Die Blätter der alten Bäume waren schon<br />

golden gefärbt, und milder Sonnenschein verklärte das Bild. Dort saß mein<br />

Freund an einem Tisch mit seiner Tochter, die in Zürich Psychologie studiert<br />

h<strong>at</strong>te. Ich wußte, daß sie ihm die nötigen Aufklärungen über Psychologie gab.<br />

Er war so fasziniert <strong>von</strong> dem, was sie zu ihm sagte, daß er mich nur mit einer<br />

flüchtigen Handbewegung begrüßte, so als wollte er mir zu verstehen geben:<br />

«Störe mich nicht!» Der Gruß war gleichzeitig ein Abwinken.<br />

Der Traum sagte mir, daß er jetzt auf eine mir n<strong>at</strong>ürlich unwiß. bare Art<br />

und Weise die Wirklichkeit seines psychischen Daseins realisieren müsse,<br />

wozu er in seinem Leben niemals imstande gewesen war. Zum Traumbild<br />

fielen mir später die Worte ein: «Heilige Anachoreten gebirgauf verteilt...»<br />

Die Anachoreten in der Schlußszene des zweiten Teils <strong>von</strong> Faust sind als<br />

Darstellung <strong>von</strong> verschiedenen Entwicklungsstufen gedacht, die sich<br />

ergänzen und gegenseitig erhöhen.<br />

Eine andere Erfahrung über die Entwicklung der Seele nach dem Tode<br />

machte ich, als ich - etwa ein Jahr nach dem Tode meiner Frau - eines Nachts<br />

plötzlich erwachte und wußte, daß ich bei ihr in Südfrankreich, in der<br />

Provence, gewesen war und einen ganzen Tag mit ihr verbracht h<strong>at</strong>te. Sie<br />

machte dort Studien über den Gral. Das erschien mir bedeutsam; denn sie war<br />

gestorben, bevor sie die Arbeit über dieses Thema beendet h<strong>at</strong>te.<br />

Die Erklärung auf der Subjektstufe - daß meine Anima mit der ihr auferlegten<br />

Arbeit noch nicht fertig sei - sagt mir nichts;<br />

denn ich weiß, daß ich damit noch nicht fertig bin. Aber der Gedanke, daß<br />

meine Frau nach dem Tode noch an ihrer geistigen Weiterentwicklung<br />

arbeitet - was immer man sich darunter vorstellen mag - schien mir sinnvoll,<br />

und darum h<strong>at</strong>te der Traum etwas Beruhigendes für mich.<br />

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