30.12.2012 Aufrufe

Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

für einen Charakter oder was für e ine Persönlichkeit h<strong>at</strong> Er? Darauf kommt ja<br />

alles an, denn sonst kann man sich nicht auf Ihn beziehen.<br />

Ich h<strong>at</strong>te die stärksten Widerstände dagegen, mir Gott nach Analogie<br />

meines Ich vorzustellen. Das erschien mir, wenn nicht direkt blasphemisch, so<br />

doch <strong>von</strong> grenzenloser Anmaßung. «Ich» schien mir sowieso ein schwer<br />

faßbarer T<strong>at</strong>bestand. Erstens einmal bestanden für mich zwei sich<br />

widersprechende Aspekte dieses Faktors: Ich Nr. l und Nr. 2; sodann war das<br />

Ich in dieser und der anderen Form etwas höchst Beschränktes; es unterlag<br />

allen möglichen Selbsttäuschungen und Irrtümern, Launen, Emotionen, Leidenschaften<br />

und Sünden, es erlitt mehr Niederlagen als Erfolge, es war<br />

kindisch, eitel, selbstsüchtig, trotzig, liebebedürftig, begeh-rerisch, ungerecht,<br />

empfindlich, faul, unverantwortlich usw. Zu meinem Leidwesen ermangelte<br />

es vieler Tugenden und Talente, die ich bei anderen neidisch bewunderte.<br />

Und das sollte die Analogie sein, nach der wir uns das Wesen Gottes<br />

vorzustellen hätten?<br />

Ich suchte eifrig nach anderen Eigenschaften Gottes und fand sie auch alle,<br />

wie ich sie bereits aus dem Konfirm<strong>at</strong>ionsunterricht kannte. Ich fand, daß<br />

nach § 172 «der unmittelbarste Ausdruck für das überweltliche Wesen Gottes<br />

ist l. neg<strong>at</strong>iv: .Seine Unsichtbarkeit für den Menschen' usw. 2. positiv: ,Sein<br />

Wohnen im Himmel' usw.» Dies war k<strong>at</strong>astrophal: sofort nämlich fiel mir das<br />

blasphemische Bild ein, welches mir Gott direkt oder indirekt (via Teufel)<br />

gegen meinen Willen aufgenötigt h<strong>at</strong>te.<br />

§ 183 belehrte mich, daß «Gottes überweltliches Wesen gegenüber der<br />

sittlichen Welt» in Seiner «Gerechtigkeit» bestehe, und Seine Gerechtigkeit<br />

sei nicht bloß eine «richterliche», sondern «ein Ausdruck Seines heiligen<br />

Wesens». Ich h<strong>at</strong>te gehofft, in diesem Paragraphen etwas über die<br />

Dunkelheiten Gottes zu vernehmen, welche mir zu schaffen machten: über<br />

Seine Rachsucht, Seine gefährliche Zornmütigkeit, Sein unverständliches<br />

Verhalten gegenüber den Geschöpfen Seiner Allmacht. Kraft Seiner Allmacht<br />

müßte Er wissen, wie untauglich sie waren. Aber es gelüstete Ihn, sie auch<br />

noch zu verführen, oder Er stellte sie auf die Probe, obwohl Er den Ausgang<br />

Seiner Experimente schon <strong>von</strong> vornherein wußte. - Ja, was ist der Charakter<br />

Gottes? Was ist eine menschliche Persönlichkeit, die so verfährt? Ich wagte<br />

nicht, es auszudenken, und dann las ich gar, daß Gott «obgleich Sich selbst<br />

genug und für Sich selbst nichts außer Sich bedürftig» die Welt «aus<br />

63

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!