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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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<strong>von</strong> Übel, gleichgültig, ob es sich um Alkohol oder Morphium oder<br />

Idealismus handelt. Man darf sich <strong>von</strong> den Gegensätzen nicht mehr verführen<br />

lassen.<br />

Das Kriterium des ethischen Handelns kann nicht mehr darin bestehen, daß<br />

das, was man als «gut» erkennt, den Charakter eines k<strong>at</strong>egorischen Imper<strong>at</strong>ivs<br />

besitzt, und daß das sogenannte Böse unbedingt vermeidbar ist. Durch die<br />

Anerkennung der Wirklichkeit des Bösen wird das Gute als die eine Hälfte<br />

eines Gegens<strong>at</strong>zes notwendigerweiser rel<strong>at</strong>iviert. Das gleiche gilt für das<br />

Böse. Beide zusammen bilden nun ein paradoxes Ganzes. Praktisch heißt das,<br />

daß Gut-Böse ihren absoluten Charakter verlieren, und wir gezwungen sind,<br />

uns darauf zu besinnen, daß sie Urteile darstellen.<br />

Die Unvollkommenheit alles menschlichen Urteilens legt uns jedoch den<br />

Zweifel nahe, ob unsere Meinung jeweils das Richtige trifft. Wir können auch<br />

einem Fehlurteil unterliegen. Da<strong>von</strong> wird das ethische Problem nur insofern<br />

betroffen, als wir uns in bezug auf die moralische Bewertung unsicher fühlen.<br />

Trotzdem müssen wir uns ethisch entscheiden. Die Rel<strong>at</strong>ivität <strong>von</strong> «gut» und<br />

«böse» oder «schlecht» bedeutet keineswegs, daß diese K<strong>at</strong>egorien ungültig<br />

seien oder nicht existierten. Das moralische Urteil ist immer und überall<br />

vorhanden mit seinen charakteristischen psychologis chen Folgen. Wie ich<br />

schon andernorts betont habe, wird sich wie bis her auch in alle Zukunft<br />

hinaus getanes, beabsichtigtes und gedachtes Unrecht an unserer Seele<br />

rächen, unbekümmert darum, ob sich die Welt für uns umgedreht h<strong>at</strong> oder<br />

nicht. Es sind nur die Inhalte des Urteils, die zeitlichen und örtlichen<br />

Bedingungen unterliegen und sich dementsprechend ändern. Die moralische<br />

Bewertung gründet sich immer auf den uns sicher erscheinenden Sittenkodex,<br />

der genau zu wissen vorgibt, was gut und was böse sei. Jetzt aber, da wir<br />

wissen, wie unsicher die Grundlage ist, wird die ethische Entscheidung zu<br />

einer subjektiven schöpferischen T<strong>at</strong>, der wir uns nur concedente Deo<br />

versichern können, d. h. wir bedürfen eines spontanen und entscheidenden<br />

Anstoßes <strong>von</strong> selten des Unbewußten. Die Ethik, d. h. die Entscheidung<br />

zwischen Gut und Böse, ist da<strong>von</strong> nicht tangiert, sie ist nur erschwert. Nichts<br />

kann uns die Qual der ethischen Entscheidung ersparen. Aber man muß, so<br />

hart es auch klingen mag, die Freiheit haben, das bekannte moralisch Gute<br />

unter Umständen zu vermeiden und das als Böse Anerkannte zu tun, sollte es<br />

die ethische Entscheidung verlangen. Mit anderen Worten: man soll den<br />

Gegensätzen nicht verfallen. Gegenüber einer<br />

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