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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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esser noch - wie ein Wurzelstock mit allen seinen kleinsten Würzelchen, die<br />

in die Luft ragten. Sie zogen daraus ein gewisses unvorstellbares Etwas, das<br />

durch die armdicke Kupfersäule in den Keller geleitet wurde. Dort befand<br />

sich eine unvorstellbare Appar<strong>at</strong>ur, eine Art Labor<strong>at</strong>orium, in welchem ich<br />

Gold fabrizierte und zwar aus der geheimen Substanz, welche die<br />

Kupferwurzeln aus der Luft zogen. Es war wirklich ein Arcanum, <strong>von</strong> dessen<br />

N<strong>at</strong>ur ich mir keine Vorstellung machte oder machen konnte. Auch bestand<br />

keine Imagin<strong>at</strong>ion über die N<strong>at</strong>ur des Umwandlungsprozesses. Über das, was<br />

in diesem Labor<strong>at</strong>orium geschah, ging meine Phantasie taktvoll, oder besser,<br />

mit einer gewissen Scheu hinweg. Da war etwas wie ein inneres Verbot: man<br />

sollte nicht genauer hinsehen, auch nicht auf das, was aus der Luft<br />

ausgezogen wurde. Es herrschte darum eine stillschweigende Verlegenheit,<br />

wie Goethe <strong>von</strong> den «Müttern» sagt: «Von ihnen sprechen ist Verlegenheit.»<br />

«Geist» war mir n<strong>at</strong>ürlich ein Ineffabile, aber im Hintergrund unterschied er<br />

sich nicht wesentlich <strong>von</strong> sehr verdünnter Luft. Was die Wurzeln sogen und<br />

dem Stamm übermittelten, war eine Art geistiger Essenz, die unten im Keller<br />

als fertige Goldmünzen sichtbar wurde. Das war beileibe kein bloßer<br />

Zaubertrick, sondern ein ehrwürdiges und lebenswichtiges Geheimnis der<br />

N<strong>at</strong>ur, das mir, ich weiß nicht wie, zuteil geworden war und das ich nicht nur<br />

vor dem R<strong>at</strong>e der Alten geheimhalten, sondern auch noch gewissermaßen mir<br />

selber verheimlichen mußte.<br />

Mein langer und langweiliger Schulweg fing an, sich in willkommener<br />

Weise zu verkürzen. Kaum war ich aus dem Schulhaus heraus, so war ich<br />

schon in der Burg, wo Umbauten vorgenommen, R<strong>at</strong>ssitzungen abgehalten,<br />

Missetäter verurteilt, Streitfälle geschlichtet und Kanonen abgefeuert wurden.<br />

Das Segelschiff wurde klar gemacht, Segel gesetzt, das Schiff mit einer lauen<br />

Brise sorgsam aus dem Hafen gesteuert, um dann, hinter dem Felsen<br />

hervorkommend, gegen einen steifen Nordwest aufzukreuzen. Und schon war<br />

ich zu Hause, wie wenn nur wenige Minuten vergangen wären. Ich tr<strong>at</strong> dann<br />

aus meiner Phantasie heraus, wie aus einem Wagen, der mich mühelos nach<br />

Hause gefahren h<strong>at</strong>te. Diese höchst angenehme Beschäftigung dauerte einige<br />

Mon<strong>at</strong>e, bis sie mir verleidet war. Dann fand ich die Phantasie dumm und<br />

lächerlich. Anst<strong>at</strong>t zu träumen, begann ich aus kleinen Steinen mit Lehm als<br />

Mörtel Burgen und kunstvoll befestigte Plätze zu bauen, wozu mir die<br />

Festung Hüningen, die damals noch mit allen Einzelheiten erhalten war,<br />

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