30.12.2012 Aufrufe

Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

täuben, resp. sie los zu werden. Im Grunde wollte er aber gar nicht heraus aus<br />

dem warmen Nest, sondern ließ sich, gegen seinen eigenen Instinkt, <strong>von</strong><br />

Wohlstand und Bequemlichkeit verführen.<br />

Nach kurzer Behandlung hörte er auf zu trinken und hielt sich für geheilt.<br />

Aber ich sagte ihm: «Ich garantiere nicht, daß Sie nicht wieder in den<br />

gleichen Zustand hineinger<strong>at</strong>en, wenn Sie in Ihre frühere Situ<strong>at</strong>ion<br />

zurückkehren.» Er glaubte mir aber nicht und fuhr guten Mutes heim nach<br />

Amerika.<br />

Kaum war er wieder unter dem Einfluß der Mutter, fing das Trinken<br />

wieder an. Da wurde ich <strong>von</strong> ihr, als sie sich in der Schweiz aufhielt, zu einer<br />

Konsult<strong>at</strong>ion gerufen. Sie war eine*ge-scheite Frau, aber ein Machtteufel<br />

ersten Ranges. Ich sah, wogegen der Sohn stehen mußte, und wußte, daß er<br />

die Kraft zum Widerstand nicht aufbrachte. Er war auch körperlich eine etwas<br />

zarte Erscheinung und seiner Mutter einfach nicht gewachsen. So entschloß<br />

ich mich zu einem Gewaltstreich. Hinter seinem Rücken stellte ich der Mutter<br />

ein Zeugnis über ihn aus, daß er wegen seines Alkoholismus seine Stellung in<br />

ihrem Geschäft unmöglich länger versehen könne. Man solle ihn entlassen.<br />

Dieser R<strong>at</strong> wurde auch befolgt, und n<strong>at</strong>ürlich geriet der Sohn in Wut gegen<br />

mich.<br />

Hier h<strong>at</strong>te ich etwas unternommen, was sich normalerweise mit dem<br />

ärztlichen Gewissen nicht leicht vereinen läßt. Aber ich wußte, daß ich um<br />

des P<strong>at</strong>ienten willen die Schuld auf mich nehmen mußte.<br />

Und wie h<strong>at</strong> er sich weiter entwickelt ? Er war nun <strong>von</strong> der Mutter getrennt<br />

und konnte seine Persönlichkeit entfalten: Er machte eine glänzende Karriere<br />

- trotz oder gerade wegen der Roßkur. Seine Frau war mir dankbar; denn ihr<br />

Mann h<strong>at</strong>te nicht nur den Alkoholismus überwunden, sondern ging nun seinen<br />

individuellen Weg mit größtem Erfolg.<br />

Jahrelang h<strong>at</strong>te ich dem P<strong>at</strong>ienten gegenüber ein schlechtes Gewissen, weil<br />

ich das Zeugnis hinter seinem Rücken ausgestellt h<strong>at</strong>te. Ich wußte aber genau,<br />

daß nur ein Gewaltakt ihn losbringen könnte. Und damit war auch die<br />

Neurose erledigt.<br />

Ein anderer Fall ist mir ebenfalls unvergeßlich geblieben. Eine Dame kam<br />

in meine Sprechstunde. Sie weigerte sich, ihren Namen zu nennen; er täte<br />

nichts zur Sache, denn sie wolle mich nur einmal konsultieren. Sie gehörte<br />

offenkundig zu den oberen Gesellschaftsschichten. Sie gab an, Ärztin<br />

gewesen zu sein. Was sie mir mitzu-<br />

128

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!