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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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Ich war überzeugt: «Das sind Schuhe, die ich getragen habe.» Diese<br />

Überzeugung h<strong>at</strong> mich damals ganz konfus gemacht. «Ja, das waren doch<br />

meine Schuhe!» Ich fühlte noch diese Schuhe an meinen Füßen, konnte mir<br />

aber nicht erklären, wie ich zu dieser wunderlichen Empfindung kam. Wieso<br />

gehörte ich ins 18. Jahrhundert? öfters passierte es mir damals, daß ich 1786<br />

schrieb anst<strong>at</strong>t 1886, und das geschah immer mit einem unerklärlichen<br />

Heimwehgefühl.<br />

Als ich damals, nach meiner Booteskapade am Vierwaldstättersee und der<br />

wohlverdienten Strafe, meinen <strong>Gedanken</strong> nachhing, rundeten sich diese bis<br />

dahin vereinzelten Eindrücke zu einem einheitlichen Bild: ich lebe in zwei<br />

Zeiten und bin zwei verschiedene Personen. Ich war <strong>von</strong> diesem Befund<br />

verwirrt und mit Nachdenklichkeiten bis zum Rande gefüllt. Schließlich kam<br />

ich aber zu der enttäuschenden Erkenntnis, daß ich jetzt wenigstens nichts als<br />

der kleine Schuljunge sei, der seine Strafe verdient und sich seinem Alter<br />

entsprechend zu benehmen habe. Das andere mußte Unsinn sein. Ich<br />

vermutete, daß es zusammenhing mit den vielen Erzählungen, die ich <strong>von</strong><br />

meinen Eltern und Verwandten über meinen Großv<strong>at</strong>er gehört h<strong>at</strong>te. Aber<br />

auch das wollte nicht recht stimmen, denn er war 1795 geboren, lebte also<br />

eigentlich im 19. Jahrhundert. Überdies war er gestorben, lang bevor ich zur<br />

Welt kam. Es konnte nicht sein, daß ich mit ihm identisch war. Diese<br />

Überlegungen waren damals allerdings nur wie vage Ahnungen und <strong>Träume</strong>.<br />

Ich kann mich nicht mehr erinnern, ob ich damals schon <strong>von</strong> der legendären<br />

Verwandtschaft mit Goethe wußte. Ich glaube nicht, denn ich weiß, daß ich<br />

zuerst <strong>von</strong> fremden Leuten diese Nachricht vernahm. Es besteht nämlich eine<br />

ärgerliche Überlieferung, daß mein Großv<strong>at</strong>er ein n<strong>at</strong>ürlicher Sohn Goethes<br />

gewesen sei 1 .<br />

Zu meinen Niederlagen in der M<strong>at</strong>hem<strong>at</strong>ik und im Zeichnen gesellte sich<br />

noch eine dritte: das Turnen war mir <strong>von</strong> Anfang an verhaßt. Niemand h<strong>at</strong>te<br />

mir vorzuschreiben, wie ich mich bewegen sollte. Ich ging in die Schule, um<br />

etwas zu lernen, und wollte keine unnütze und sinnlose Akrob<strong>at</strong>ik treiben.<br />

Hinzu kam noch, als eine späte Folge meiner frühen Unfälle, eine gewisse<br />

physische Ängstlichkeit, die ich erst viel später einigermaßen überwinden<br />

konnte. Sie hing ihrerseits zusammen mit einem Mißtrauen gegenüber der<br />

Welt und ihren Möglichkeiten. Die Welt schien mir zwar<br />

1 Vgl. Appendix pag. 399.<br />

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