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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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Menschenfleisch. Erst volle fünfzig Jahre später brannte mir die Stelle aus<br />

einem Kommentar über religiöse Riten in die Augen, in welchem vom<br />

anthropophagischen Grundmotiv im Abendmahls symbolismus die Rede ist.<br />

Da erst wurde mir klar, wie überaus unkindlich, wie reif, ja sogar wie überreif<br />

der Gedanke ist, der sich in diesen beiden Erlebnissen zur Bewußtheit<br />

durchzuringen begann. Wer sprach damals in mir? Wessen Geist h<strong>at</strong> diese<br />

Erlebnisse ersonnen? Welche überlegene Einsicht war hier am Werk? Ich<br />

weiß, für jeden Flachkopf liegt die Versuchung nahe, vom «schwarzen<br />

Mann» und vom «Menschenfresser» und vom «Zufall» und «späterem<br />

Hineindeuten» zu faseln, um etwas schrecklich Unbequemes schnell<br />

wegzuwischen, damit ja keine familiäre Harmlosigkeit getrübt werde. Ach,<br />

diese braven, tüchtigen, gesunden Menschen, sie kommen mir immer vor wie<br />

jene optimistischen Kaulquappen, die in einer Regenwasserpfütze<br />

dichtgedrängt und freundlich schwänzelnd an der Sonne liegen, im<br />

seichtesten aller Gewässer, und nicht ahnen, daß schon morgen die Pfütze<br />

ausgetrocknet ist.<br />

Was sprach damals in mir? Wer redete Worte überlegener Problem<strong>at</strong>ik?<br />

Wer stellte das Oben und das Unten zusammen und legte damit den Grund zu<br />

all dem, was die ganze zweite Hälfte meines Lebens mit Stürmen<br />

leidenschaftlichster N<strong>at</strong>ur erfüllte? Wer störte ungetrübte, harmloseste<br />

Kindheit mit schwerer Ahnung reifsten Menschenlebens? Wer anders als der<br />

fremde Gast, der <strong>von</strong> Oben und <strong>von</strong> Unten kam?<br />

Durch diesen Kindertraum wurde ich in die Geheimnisse der Erde<br />

eingeweiht. Es fand damals sozusagen ein Begräbnis in die Erde st<strong>at</strong>t, und es<br />

vergingen Jahre, bis ich wieder hervorkam. Heute weiß ich, daß es geschah,<br />

um das größtmögliche Maß <strong>von</strong> Licht in die Dunkelheit zu bringen. Es war<br />

eine Art Initi<strong>at</strong>ion in das Reich des Dunkeln. Damals h<strong>at</strong> mein geistiges<br />

Leben seinen unbewußten Anfang genommen.<br />

An unsere Übersiedlung nach Klein-Hüningen bei Basel 1879 erinnere ich<br />

mich nicht mehr, wohl aber an ein Ereignis, das einige Jahre später st<strong>at</strong>tfand:<br />

Eines Abends nahm mich mein V<strong>at</strong>er aus dem Bett und trug mich auf seinem<br />

Arm auf unsere nach Westen gelegene Laube und zeigte mir den<br />

Abendhimmel, der im herrlichsten Grün schimmerte. Das war nach dem<br />

Ausbruch des Krak<strong>at</strong>au, 1883.<br />

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