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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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Jahren an der paranoiden Form der Dementia praecox mit charakteristischem<br />

Größenwahn. Als ich sie kennenlernte, befand sie sich schon zwanzig Jahre in<br />

der Anstalt. Viele Hunderte <strong>von</strong> Medizinstudenten erhielten bei ihr einen<br />

Eindruck <strong>von</strong> dem unheimlichen Prozeß der psychischen Zersetzung. Sie war<br />

eines der klassischen Demonstr<strong>at</strong>ionsobjekte der Klinik. Babette war<br />

vollkommen verrückt und sagte Dinge, die man überhaupt nicht verstehen<br />

konnte. In mühseliger Arbeit unternahm ich den Versuch, die Inhalte ihrer<br />

abstrusen Aussprüche zu verstehen. Z. B. sagte sie: «Ich bin die Loreley» und<br />

zwar darum, weil der Arzt, wenn er sich zu erklären versuchte, immer sagte:<br />

«Ich weiß nicht, was soll es« bedeuten.» Oder sie brachte Klagen hervor wie:<br />

«Ich bin die Sokr<strong>at</strong>es-Vertretung», was - wie ich herausfand - bedeuten sollte:<br />

«Ich bin ebenso ungerecht angeschuldigt wie Sokr<strong>at</strong>es.» Skurrile Aussprüche<br />

wie: «Ich bin das Doppelpolytechnikum unersetzlich», «Ich bin<br />

Zwetschgenkuchen auf Maisgriesboden», «Ich bin Germania und Helvetia aus<br />

ausschließlich süßer Butter», «Neapel und ich müssen die Welt mit Nudeln<br />

versorgen», bedeuteten Wertsteigerungen, d. h. Kompens<strong>at</strong>ionen eines<br />

Minderwertigkeitsgefühls.<br />

Die Beschäftigung mit Babette und anderen, ähnlichen Fällen überzeugte<br />

mich, daß vieles, was wir bis dahin bei den Geisteskranken als sinnlos<br />

angesehen h<strong>at</strong>ten, gar nicht so «verrückt» war, wie es schien. Ich erfuhr mehr<br />

als einmal, daß bei solchen P<strong>at</strong>ienten im Hintergrund eine «Person»<br />

verborgen ist, die als normal bezeichnet werden muß und die gewissermaßen<br />

zusieht. Gelegentlich kann sie auch - meist via Stimmen oder <strong>Träume</strong> - ganz<br />

vernünftige Bemerkungen und Einwände machen, und es kann sogar vorkommen,<br />

daß sie z. B. bei physischer Erkrankung wieder in den Vordergrund<br />

rückt und den P<strong>at</strong>ienten fast normal erscheinen läßt.<br />

Ich h<strong>at</strong>te einmal eine alte Schizophrene zu behandeln, an der mir die<br />

hintergründige «normale» Person sehr deutlich wurde. Es war ein Fall, der<br />

nicht zu heilen, sondern nur zu betreuen war. Wie jeder Arzt h<strong>at</strong>te auch ich<br />

P<strong>at</strong>ienten, die man ohne Hoffnung auf Heilung in den Tod begleit en muß. Die<br />

Frau hörte Stimmen, die über den ganzen Körper verteilt waren, und eine<br />

Stimme in der Mitte des Thorax war «Gottes Stimme». - «Auf sie müssen wir<br />

uns verlassen», sagte ich ihr - und staunte über meinen eigenen Mut. In der<br />

Regel machte diese Stimme sehr vernünftige Bemerkungen, und mit ihrer<br />

Hilfe kam ich mit der P<strong>at</strong>ientin gut aus. Einmal sagte die Stimme: «Er soll<br />

dich abhören über die Bibel!» Sie<br />

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