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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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unbewußt gefangen und h<strong>at</strong>te keine Mittel, mich ihm zu entziehen. «Faust»<br />

h<strong>at</strong> in mir eine Saite zum Erklingen gebracht und mich in einer Art und Weise<br />

getroffen, die ich nicht anders als persönlich verstehen konnte. Es war vor<br />

allem das Problem der Gegensätze <strong>von</strong> Gut und Böse, <strong>von</strong> Geist und Stoff,<br />

<strong>von</strong> Hell und Dunkel, das mich aufs tiefste berührte. Faust, der inepte,<br />

ahnungslose Philosoph, stößt mit seiner dunkeln Seite, mit seinem<br />

unheimlichen Sch<strong>at</strong>ten, Mephistopheles, zusammen. Trotz seiner<br />

verneinenden N<strong>at</strong>ur stellt Mephistopheles gegenüber dem vertrockneten<br />

Gelehrten, der hart am Selbstmord vorbeigeht, den eigentlichen Lebensgeist<br />

dar. Meine inneren Gegensätze erschienen hier dram<strong>at</strong>isiert. Goethe h<strong>at</strong>te<br />

gewissermaßen eine Grundzeichnung und ein Schema meiner eigenen<br />

Konflikte und Lösungen gegeben. Die Zweiteilung Faust-Mephisto zog sich<br />

mir in einem einzigen Menschen zusammen, und der war ich. Mit anderen<br />

Worten, ich war betroffen und fühlte mich erkannt, und da es mein Schicksal<br />

war, so betrafen auch alle Peripetien des Dramas mich selber; ich mußte mit<br />

Leidenschaft hier bestätigen und dort bekämpfen. Keine Lösung konnte mir<br />

gleichgültig sein. Später knüpfte ich in meinem Werk bewußt an das an, was<br />

Faust übergangen h<strong>at</strong>te: die Respektierung der ewigen Menschenrechte, die<br />

Anerkennung des Alten und die Kontinuität der Kultur und der<br />

Geistesgeschichte '.<br />

Sowohl unsere Seele wie der Körper bestehen aus Einzelheiten, die alle<br />

schon in der Ahnenreihe vorhanden gewesen sind. Das «Neue» in der<br />

individuellen Seele ist eine endlos variierte Rekombin<strong>at</strong>ion uralter<br />

Bestandteile, Körper wie Seele haben daher einen eminent historischen<br />

Charakter und finden im Neuen, eben erst Entstandenen keine richtige<br />

Unterkunft, d. h. die anzestralen Züge sind darin nur zum Teil zu Hause. Wir<br />

sind mit Mittelalter und Antike und Primitivität noch längst nicht so fertig<br />

geworden, wie es unsere Psyche erfordert. Wir sind st<strong>at</strong>t dessen in ein en<br />

K<strong>at</strong>arakt des Fortschritts hineingestürzt, der mit umso wilderer Gewalt vorwärts<br />

in die Zukunft drängt, je mehr er uns <strong>von</strong> unseren Wurzeln abreißt. Ist<br />

aber das Alte einmal durchbrochen, dann ist es meist<br />

' <strong>Jung</strong>s Einstellung spricht aus der Inschrift, die er ursprünglich über das Eingangstor<br />

zu seinem Haus in Bollingen geschrieben h<strong>at</strong>te: «Phile-monis Sacrum — Fausti<br />

Poenitentia» (Der Schrein des Philemon — Fau-stens Sühne). Als die Stelle vermauert<br />

wurde, setzte er die Worte über den Eingang des zweiten Turmes. A. J.<br />

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