30.12.2012 Aufrufe

Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Leiche schwamm vorbei, ein Jüngling mit blondem Haar, am Kopf<br />

verwundet. Ihm folgte ein riesiger schwarzer Skarabäus, und dann erschien,<br />

aus der Wassertiefe auftauchend, eine rote, neugeborene Sonne. Geblendet<br />

vom Licht, wollte ich den Stein wieder auf die Öffnung legen, da drängte sich<br />

jedoch eine Flüssigkeit durch die Öffnung. Es war Blut! Ein dicker Strahl<br />

sprang auf und ich empfand Übelkeit. Der Blutstrom währte, wie mir schien,<br />

unerträglich lange. Endlich versiegte er, und damit war die Vision zu Ende.<br />

Ich war <strong>von</strong> den Bildern aufs Tiefste bestürzt. N<strong>at</strong>ürlich sah ich, daß die<br />

piece de resistance ein Helden- und Sonnenmythus war, ein Drama <strong>von</strong> Tod<br />

und Wiedererneuerung. Die Wiedergeburt war verdeutlicht durch den<br />

ägyptischen Skarabäus. Am Ende hätte der neue Tag folgen sollen.<br />

St<strong>at</strong>tdessen kam der unerträgliche Blutstrom, ein durchaus abnormes<br />

Phänomen, wie mir schien. Da fiel mir aber meine Blutvision vom Herbst<br />

desselben Jahres ein, und ich gab jeden weiteren Versuch zu verstehen auf.<br />

Sechs Tage später (18. Dezember 1913) h<strong>at</strong>te ich folgenden Traum:<br />

Ich fand mich mit einem unbekannten braunhäutigen Jüngling, einem<br />

Wilden, in einem einsamen, felsigen Gebirge. Es war vor Tagesanbruch, der<br />

östliche Himmel war schon hell, und die Sterne waren am Erlöschen. Da tönte<br />

über die Berge das Hörn Siegfrieds, und ich wußte, daß wir ihn umbringen<br />

müßten. Wir waren mit Gewehren bewaffnet und lauerten ihm an einem<br />

schmalen Felspfad auf.<br />

Plötzlich erschien Siegfried hoch oben auf dem Gr<strong>at</strong> des Berges im ersten<br />

Strahl der aufgehenden Sonne. Auf einem Wagen aus Totengebein fuhr er in<br />

rasendem Tempo den felsigen Abhang hinunter. Als er um eine Ecke bog,<br />

schössen wir auf ihn, und er stürzte, zu Tode getroffen.<br />

Voll Ekel und Reue, etwas so Großes und Schönes zerstört zu haben,<br />

wandte ich mich zur Flucht, getrieben <strong>von</strong> Angst, man könnte den Mord<br />

entdecken. Da begann ein gewaltiger Regen niederzurauschen, und ich wußte,<br />

daß er alle Spuren der T<strong>at</strong> verwischen würde. Der Gefahr, entdeckt zu<br />

werden, war ich entronnen, das Leben konnte weiter gehen, aber es blieb ein<br />

unerträgliches Schuldgefühl.<br />

Als ich aus dem Traum erwachte, dachte ich über ihn nach, aber es war mir<br />

unmöglich, ihn zu verstehen. So versuchte ich wieder einzuschlafen, aber eine<br />

Stimme sagte: «Du mußt den Traum ver-<br />

183

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!