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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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welche, <strong>von</strong> den Anfängen der philosophischen Alchemie und des<br />

Gnostizismus bis zu Nietzsches Zar<strong>at</strong>hustra - meist unpopulär, zweideutig<br />

und gefährlich - eine Entdeckungsreise zum ändern Pol der Welt darstellt.<br />

N<strong>at</strong>ürlich brauchte ich gerade in der Zeit, als ich an den Phantasien<br />

arbeitete, einen Halt in «dieser Welt», und ich kann sagen, das war mir die<br />

Familie und die Berufsarbeit. Es war mir vital notwendig, auch ein<br />

selbstverständliches r<strong>at</strong>ionales Leben zu führen, als Gegengewicht zu der<br />

fremden Innenwelt. Die Familie und der Beruf blieben für mich die Basis, zu<br />

der ich immer zurückkehren konnte, und die mir bewies, daß ich ein wirklich<br />

vorhandener gewöhnlicher Mensch war. Die Inhalte des Unbewußten konnten<br />

mich bisweilen außer Rand und Band bringen. Aber die Familie und das<br />

Wissen: ich habe ein Ärztediplom, ich muß meinen P<strong>at</strong>ienten helfen, ich habe<br />

eine Frau und fünf Kinder, und ich wohne an der Seestraße 228 in Küsnacht -<br />

das waren T<strong>at</strong>sächlichkeiten, die mich anforderten. Sie bewiesen mir Tag für<br />

Tag, daß ich wirklich existierte und nicht nur ein vom Geistwind<br />

umgetriebenes Bl<strong>at</strong>t war wie ein Nietzsche. Nietzsche h<strong>at</strong>te den Boden unter<br />

den Füßen verloren, weil er nichts anderes besaß als die innere Welt seiner<br />

<strong>Gedanken</strong> - die überdies ihn mehr besaß als er sie. Er war entwurzelt und<br />

schwebte über der Erde, und deshalb verfiel er der Übertreibung und der<br />

Unwirklichkeit. Diese Unrealität war für mich der Inbegriff des Grauens,<br />

denn ich meinte ja diese Welt und dieses Leben. Auch wenn ich noch so sehr<br />

versunken und umgetrieben war, wußte ich doch immer, daß alles, was ich<br />

erlebte, dieses mein wirkliches Leben meinte, dessen Umfang und Sinn ich zu<br />

erfüllen trachtete. Meine Devise war: Hic Rhodus, hic salta!<br />

So waren meine Familie und mein Beruf immer eine beglückende Realität<br />

und eine Garantie, daß ich normal und wirklich existierte.<br />

Ganz allmählich zeichnete sich in mir eine Wandlung ab. Im Jahre 1916<br />

spürte ich einen Drang zur Gestaltung: Ich wurde sozusagen <strong>von</strong> innen her<br />

gezwungen, das zu formulieren und auszusprechen, was gewissermaßen <strong>von</strong><br />

Philemon hätte gesagt werden können. So kamen die «Septem Sermones ad<br />

Mortuos» mit ihrer eigentümlichen Sprache zustande 10 .<br />

10 Sieben Reden an die Toten. Vgl. Appendix pag. 388 ff.<br />

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