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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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nichts zu machen. Von da an waren Zürich und der Uetliberg das<br />

unerreichbare Wunschland, nahe bei den glühenden Schneebergen.<br />

Aus etwas späterer Zeit: meine Mutter fuhr mit mir in den Thurgau, um<br />

Freunde zu besuchen. Sie h<strong>at</strong>ten ein Schloß am Bodensee. Da war ich vom<br />

Ufer nicht wegzubringen. Die Sonne glitzerte auf dem Wasser. Die Wellen<br />

vom Dampfer kamen ans Ufer. Sie h<strong>at</strong>ten den Sand auf dem Grunde zu<br />

kleinen Rippen geformt. Der See dehnte sich in unabsehbare Ferne, und diese<br />

Weite war ein unvorstellbarer Genuß, eine Herrlichkeit ohnegleichen. Damals<br />

setzte sich die Idee bei mir fest, ich müsse an einem See leben. Ohne Wasser,<br />

so dachte ich, könne man überhaupt nicht sein.<br />

Noch eine andere Erinnerung: fremde Leute, Geschäftigkeit, Aufregung.<br />

Die Magd kam gerannt: «Die Fischer haben eine Leiche gelandet — über den<br />

Rheinfall hinunter — sie wollen sie ins Waschhaus bringen.» Mein V<strong>at</strong>er<br />

sagte: «Ja - ja.» Ich wollte die Leiche sofort sehen. Meine Mutter hielt mich<br />

zurück und verbot mir streng, in den Garten zu gehen. Als die Männer<br />

fortgegangen waren, eilte ich heimlich durch den Garten zum Waschhaus.<br />

Aber die Türe war verschlossen. Dann ging ich ums Haus herum. Auf der<br />

hinteren Seite befand sich ein offener Ablauf zum Hang hinunter. Da tröpfelte<br />

Wasser und Blut heraus. Das interessierte mich außerordentlich. Ich war<br />

damals noch nicht vier Jahre alt.<br />

Ein anderes Bild taucht auf: Ich bin unruhig, fiebrig, schlaflos. Mein V<strong>at</strong>er<br />

trägt mich auf den Armen, geht im Zimmer auf und ab und singt dabei seine<br />

alten Studentenlieder. Ich erinnere mich namentlich an eines, das mir<br />

besonders gefiel und mich immer beruhigt h<strong>at</strong>. Es war das sogenannte Lied<br />

vom Landesv<strong>at</strong>er: «Alles schweige, jeder neige . . .» so etwa lautete der<br />

Anfang. Ich erinnere mich heut noch an die Stimme meines V<strong>at</strong>ers, der in der<br />

Stille der Nacht über mir sang.<br />

Ich litt, wie meine Mutter mir nachträglich erzählte, an einem allgemeinen<br />

Ekzem. Dunkle Andeutungen über Schwierigkeiten in der Ehe der Eltern<br />

umschwebten mich. Meine Krankheit muß wohl im Zusammenhang<br />

gestanden haben mit einer temporären Trennung meiner Eltern (1878). Meine<br />

Mutter war damals während mehrerer Mon<strong>at</strong>e im Spital in Basel, und<br />

vermutlich war ihr Leiden die Folge ihrer Enttäuschung in der Ehe. Damals<br />

betreute mich eine Tante, an die zwanzig Jahre älter als meine Mutter. Die<br />

lange Abwesenheit meiner Mutter h<strong>at</strong> mir schwer zu schaffen gemacht.<br />

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