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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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sondern auch viele andere. Damit h<strong>at</strong> es angefangen, daß ich nicht mehr nur<br />

mir selber gehören durfte. Von da an gehörte mein Leben der Allgemeinheit.<br />

Die Erkenntnisse, um die es mir ging oder die ich suchte, waren in der<br />

Wissenschaft jener Tage noch nicht anzutreffen. Ich mußte selber die<br />

Urerfahrung machen und mußte überdies versuchen, das Erfahrene auf den<br />

Boden der Wirklichkeit zu stellen; sonst wäre es im Zustand einer nicht<br />

lebensfähigen subjektiven Voraussetzung geblieben. Damals stellte ich mich<br />

in den Dienst der Seele. Ich habe sie geliebt und habe sie gehaßt, aber sie war<br />

mein größter Reichtum. Daß ich mich ihr verschrieb, war die einzige<br />

Möglichkeit, meine Existenz als eine rel<strong>at</strong>ive Ganzheit zu leben und<br />

auszuhalten.<br />

Heute kann ich sagen: ich habe mich nie <strong>von</strong> meinen anfänglichen<br />

Erlebnissen entfernt. Alle meine Arbeiten, alles, was ich geistig geschaffen<br />

habe, kommt aus den Initialimagin<strong>at</strong>ionen und -träumen. 1912 fing es an, das<br />

sind jetzt fast fünfzig Jahre her. Alles, was ich in meinem späteren Leben<br />

getan habe, ist in ihnen bereits enthalten, wenn auch erst in Form <strong>von</strong><br />

Emotionen oder Bildern.<br />

Meine Wissenschaft war das Mittel und die einzige Möglichkeit, mich aus<br />

jenem Chaos herauszuwinden. Sonst hätte mir das M<strong>at</strong>erial angehaftet wie<br />

Kletten oder Sumpfpflanzen. Ich verwandte große Sorgfalt darauf, jedes<br />

einzelne Bild, jeden Inhalt zu verstehen, ihn - soweit dies möglich ist -<br />

r<strong>at</strong>ional einzuordnen und vor allem im Leben zu realisieren. Das ist es, was<br />

man meistens versäumt. Man läßt die Bilder aufsteigen und wundert sich<br />

vielleicht über sie, aber dabei läßt man es bewenden. Man gibt sich nicht die<br />

Mühe, sie zu verstehen, geschweige denn die ethischen Konsequenzen zu<br />

ziehen. Damit beschwört man die neg<strong>at</strong>iven Wirkungen des Unbewußten<br />

herauf.<br />

Auch wer die Bilder einigermaßen versteht, jedoch glaubt, es sei mit dem<br />

Wissen getan, erliegt einem gefährlichen Irrtum. Denn wer seine Erkenntnis<br />

nicht als ethische Verpflichtung anschaut, verfällt dem Machtprinzip. Es<br />

können daraus destruktive Wirkungen entstehen, die nicht nur andere<br />

zerstören, sondern auch den Wissenden selber. Mit den Bildern des<br />

Unbewußten ist dem Men-schen eine schwere Verantwortung auferlegt. Das<br />

Nicht-Verstehen sowie der Mangel an ethischer Verpflichtung berauben die<br />

Existenz ihrer Ganzheit und verleihen manchem individuellen Leben den<br />

peinlichen Charakter der Fragmenthaftigkeit.<br />

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