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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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nicht so sicher!» oder mit der Frage: «Was ist mit dem, was unter dem Boden<br />

ist?» Und wenn mir religiöse Lehren eingeprägt wurden und mir gesagt<br />

wurde: «Das ist schön und das ist gut», dann dachte ich bei mir: «Ja, aber es<br />

gibt noch etwas sehr geheimes Anderes, und das wissen die Leute nicht.»<br />

Die Episode mit dem geschnitzten Männchen bildete Höhepunkt und<br />

Abschluß meiner Kindheit. Sie dauerte etwa ein Jahr. Danach tr<strong>at</strong> eine völlige<br />

Erinnerungslosigkeit für dies Ereignis ein, die bis zu meinem<br />

fünfunddreißigsten Jahre andauerte. Damals stieg aus dem Nebel der Kindheit<br />

dieses Erinnerungsstück in unmittelbarer Klarheit wieder auf, als ich, mit den<br />

Vorarbeiten zu meinem Buch «Wandlungen und Symbole der Libido»<br />

beschäftigt, über den Cache 4 <strong>von</strong> Seelensteinen bei Ariesheim und die<br />

Churingas der Australier las. Ich entdeckte plötzlich, daß ich mir ein ganz b estimmtes<br />

Bild <strong>von</strong> einem solchen Stein machte, obschon ich nie eine<br />

Abbildung da<strong>von</strong> gesehen h<strong>at</strong>te. In meiner Vorstellung sah ich einen gl<strong>at</strong>ten<br />

Stein, der so bemalt war, daß er in einen oberen und einen unteren Teil<br />

getrennt war. Dieses Bild kam mir irgendwie bekannt vor, und es gesellte sich<br />

dazu die Erinnerung an eine gelbliche Federschachtel sowie an ein kleines<br />

Männchen. Das Männchen war ein kleiner verhüllter Gott der Antike, ein<br />

Telesphoros, der auf manchen alten Darstellungen bei Aesculap steht und ihm<br />

aus einer Buchrolle vorliest.<br />

Mit dieser Wiedererinnerung kam mir zum ersten Mal die Überzeugung,<br />

daß es archaische seelische Bestandteile gibt, die aus keiner Tradition in die<br />

Individualseele eingedrungen sein können. Es gab nämlich in der Bibliothek<br />

meines V<strong>at</strong>ers, die ich - nota bene erst viel später - durchforschte, nicht ein<br />

einziges Buch, das dergleichen Inform<strong>at</strong>ionen enthalten hätte.<br />

Nachgewiesenermaßen wußte auch mein V<strong>at</strong>er nichts <strong>von</strong> solchen Dingen.<br />

Als ich 1920 in England war, habe ich zwei ähnliche Figuren aus einem<br />

dünnen Ast geschnitzt, ohne mich im geringsten an das Kindheitserlebnis zu<br />

erinnern. Eine da<strong>von</strong> ließ ich vergrößert in Stein hauen, und diese Figur steht<br />

in meinem Garten in Küsnacht. Erst damals h<strong>at</strong> mir das Unbewußte den<br />

Namen eingegeben. Es nannte die Figur «Atmavictu» - «bre<strong>at</strong>h of life». Sie<br />

ist eine Weiterentwicklung jenes quasi sexuellen Gegenstandes aus der Kindheit,<br />

der sich dann aber als der «bre<strong>at</strong>h of life» herausstellte, als<br />

4 Eine Art Versteck.<br />

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