30.12.2012 Aufrufe

Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Seit jener Zeit war ich immer mißtrauisch sobald das Wort «Liebe» fiel. Das<br />

Gefühl, das sich mir mit dem «Weiblichen» verband, war lange Zeit:<br />

n<strong>at</strong>ürliche Unzuverlässigkeit. «V<strong>at</strong>er» bedeutete für mich Zuverlässigkeit und<br />

— Ohnmacht. Dies ist das handicap, mit dem ich angetreten bin. Später<br />

wurde dieser frühe Eindruck revidiert. Ich habe geglaubt. Freunde zu haben,<br />

und bin <strong>von</strong> ihnen enttäuscht worden, und ich war mißtrauisch gegenüber<br />

Frauen und bin nicht enttäuscht worden.<br />

Während meine Mutter fort war, h<strong>at</strong> sich auch unser Mädchen meiner<br />

angenommen. Ich weiß noch, wie sie mich auf den Arm hob und ich den<br />

Kopf an ihre Schulter legte. Sie h<strong>at</strong>te schwarze Haare und einen<br />

olivenfarbenen Teint und war ganz anders als meine Mutter. Ich erinnere<br />

mich an den Haarans<strong>at</strong>z, den Hals mit der stark pigmentierten Haut und das<br />

Ohr. Das kam mir so fremdartig vor und doch so merkwürdig bekannt. Es<br />

war, als gehörte sie nicht zu meiner Familie, sondern nur zu mir, und als<br />

hinge sie auf eine mir unbegreifliche Weise mit anderen geheimnisvollen<br />

Dingen zusammen, die ich nicht verstehen konnte. Der Typus des Mädchens<br />

wurde später zu einem Aspekt meiner Anima. Das Gefühl des Fremden und<br />

doch Urbekannten, das sie vermittelte, war das Charakteristikum jener Figur,<br />

die mir später den Inbegriff des Weiblichen darstellte.<br />

In die Zeit der Trennung meiner Eltern fällt noch ein anderes<br />

Erinnerungsbild: Ein junges, sehr hübsches, liebenswürdiges Mädchen mit<br />

blauen Augen und blondem Haar führt mich an einem blauen Herbsttag unter<br />

goldenen Ahorn - und Kastanienbäumen spazieren. Wir gingen den Rhein<br />

entlang unterhalb des Wasserfalls beim Schlößchen Wörth. Die Sonne schien<br />

durch das Laub, und goldene Blätter lagen am Boden. Das junge Mädchen ist<br />

später meine Schwiegermutter geworden. Sie bewunderte meinen V<strong>at</strong>er. Erst<br />

mit einundzwanzig Jahren habe ich sie wieder gesehen.<br />

Das sind meine «äußeren» <strong>Erinnerungen</strong>. Was jetzt folgt, sind stärkere, ja<br />

überwältigende Dinge, an die ich mich zum Teil nur dunkel erinnere: ein<br />

Sturz die Treppe hinunter, ein Fall gegen das kantige Ofenbein. Ich erinnere<br />

mich an Schmerzen und Blut, ein Arzt näht mir eine Kopfwunde, deren Narbe<br />

noch bis in meine späte Gymnasialzeit sichtbar war. Meine Mutter erzählte<br />

mir, daß ich einmal mit der Magd über die Rheinfallbrücke nach Neuhausen<br />

ging, plötzlich hinfiel und mit einem Bein unter das Geländer glitt. Das<br />

Mädchen konnte mich gerade noch erwischen und zurück-<br />

15

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!