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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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Sehen wir einen Augenblick ab <strong>von</strong> allem europäischen R<strong>at</strong>ionalismus und<br />

versetzen wir uns in die klare Höhenluft jener einsamen Hochebene, die auf<br />

der einen Seite in die weiten kontinentalen Prärien und auf der anderen Seite<br />

zum Stillen Ozean abfällt, begeben wir uns gleichzeitig unserer<br />

Weltbewußtheit und tauschen wir dafür einen unermeßlich scheinenden<br />

Horizont mit einer jenseits liegenden Weltunbewußtheit ein, so fangen wir an,<br />

den Gesichtspunkt des Pueblo -Indianers zu verstehen. «Alles Leben kommt<br />

vom Berge» ist unmittelbar überzeugend für ihn. Ebenso tief ist es ihm<br />

bewußt, daß er auf dem Dach einer unermeßlichen Welt wohnt, zunächst dem<br />

Gotte. Er vor allen h<strong>at</strong> das Ohr der Gottheit, und seine kultische Handlung<br />

wird am ehesten die ferne Sonne erreichen. Die Heiligkeit der Berge, die<br />

Offenbarung Jahwes auf dem Sinai, die Inspir<strong>at</strong>ion, die Nietzsche im Engadin<br />

empfing, liegen auf der gleichen Linie. Die uns absurd erscheinende Idee, daß<br />

ein kultisches Handeln die Sonne magisch «bewirken» könne, ist bei näherem<br />

Zusehen zwar nicht weniger irr<strong>at</strong>ional, aber uns doch bedeutend vertrauter, als<br />

man zunächst vermuten könnte. Unsere christliche Religion, wie übrigens<br />

jede andere, ist durchtränkt <strong>von</strong> dem <strong>Gedanken</strong>, daß man durch besondere<br />

Handlungen oder eine besondere Art des Handelns den Gott beeinflussen<br />

könne, z. B. durch Riten oder durch Gebet oder durch eine Gott wohlgefällige<br />

Moral.<br />

Der Einwirkung des Gottes auf den Menschen steht die kultische Handlung<br />

des Menschen als eine Antwort und Rückwirkung gegenüber, und vielleicht<br />

nicht nur als das, sondern auch als aktive «Bewirkung», als magischer Zwang.<br />

Daß sich aber der Mensch imstande fühlt, auf die übermächtige Einwirkung<br />

des Gottes vollgültig zu antworten und eine selbst dem Gotte wesentliche<br />

Rückleistung zu geben, ist ein stolzes Gefühl, welches das menschliche<br />

Individuum zur Würde eines metaphysischen Faktors erhebt. «Gott und wir» -<br />

auch wenn es nur ein unbewußtes sous-entendu ist -dieses äquivalente<br />

Verhältnis liegt wohl jener beneidenswerten Gelassenheit zugrunde. Ein<br />

solcher Mensch ist im vollsten Sinne des Wortes an seinem Pl<strong>at</strong>ze.<br />

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