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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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Wenn es auch nicht möglich ist, einen gültigen Beweis für ein Weiterleben<br />

der Seele nach dem Tode zu erbringen, so gibt es doch Erlebnisse, die einem<br />

2u denken geben. Ich fasse sie als Hinweise auf, ohne mir die Kühnheit<br />

herauszunehmen, ihnen die Bedeutung <strong>von</strong> Erkenntnissen zuzuerteilen.<br />

Einmal lag ich nachts wach und dachte an den plötzlichen Tod eines<br />

Freundes, der am Tage zuvor begraben worden war. Sein Tod beschäftigte<br />

mich sehr. Mit einem Mal h<strong>at</strong>te ich das Gefühl, er sei im Zimmer. Es war mir,<br />

als stünde er zu Füßen meines Bettes und verlangte, daß ich mit ihm gehe. Ich<br />

h<strong>at</strong>te nicht das Gefühl einer Erscheinung, sondern es war ein visuelles inneres<br />

Bild <strong>von</strong> ihm, das ich mir als eine Phantasie erklärte. Ehrlicherweise mußte<br />

ich mich aber fragen: Habe ich einen Beweis dafür, daß es eine Phantasie ist?<br />

Wenn es nun keine Phantasie wäre, wenn also mein Freund wirklich da wäre,<br />

und ich würde ihn für eine Phantasie halten, wäre das nicht eine<br />

Unverschämtheit? - Ich h<strong>at</strong>te aber ebensowenig einen Beweis dafür, daß er als<br />

Erscheinung, d. h. «wirklich» vor mir stand. Da sagte ich mir: Beweis hin<br />

oder her! Anst<strong>at</strong>t ihn als Phantasie zu erklären, könnte ich ihn mit dem<br />

gleichen Recht als Erscheinung akzeptieren und ihm wenigstens<br />

versuchsweise Wirklichkeit zubilligen. - In dem Augenblick, als ich das<br />

dachte, ging er zur Tür und winkte mir, ihm zu folgen. Ich sollte sozusagen<br />

mitspielen. Das war nun allerdings nicht vorgesehen! Ich mußte mir daher<br />

mein Argument nochmals wiederholen. Erst dann folgte ich ihm in meiner<br />

Phantasie.<br />

Er führte mich aus dem Haus, in den Garten, auf die Straße und schließlich<br />

in sein Haus. (In Wirklichkeit lag es einige hundert Meter <strong>von</strong> dem meinigen<br />

entfernt). Ich ging hinein, und er geleitete mich in sein Arbeitszimmer. Er<br />

stieg auf einen Schemel und zeigte auf das zweite <strong>von</strong> fünf rot eingebundenen<br />

Büchern, die auf dem zweitobersten Schaft standen. Dann hörte die Vision<br />

auf. Ich kannte seine Bibliothek nicht und wußte nicht, was für Bücher er<br />

besaß. Überdies hätte ich die Titel der Bände, auf die er hingewiesen h<strong>at</strong>te,<br />

<strong>von</strong> unten nicht erkennen können, da sie auf dem zweitobersten Schaft<br />

standen.<br />

Das Erlebnis schien mir so merkwürdig, daß ich am anderen Morgen zu der<br />

Witwe meines Freundes ging und sie fragte, ob ich in der Bibliothek des<br />

Verstorbenen etwas nachschauen dürfe. T<strong>at</strong>sächlich stand unter dem in der<br />

Phantasie gesehenen Regal ein Schemel, und ich sah schon <strong>von</strong> weitem die<br />

fünf rot eingebunde-<br />

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