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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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sich so gewunden aus, aber man sieht deutlich, daß er eigentlich behaupten<br />

möchte, <strong>von</strong> Gottes Dasein hinlänglich überzeugt zu sein. Warum sagt er es<br />

nicht direkt heraus? Warum tut er dergleichen, als ob er wirklich meine, daß<br />

man die Idee Gottes «erzeuge» und daß man dazu erst auf einer gewissen<br />

Entwicklungsstufe fähig sei? Soviel ich weiß, h<strong>at</strong>ten ja auch die Wilden, die<br />

nackt in ihren Wäldern herumstreiften, solche Ideen. Das waren doch keine<br />

«Philosophen», die sich hinsetzten, um «eine Idee Gottes zu erzeugen». Auch<br />

ich habe doch nie eine «Gottesidee erzeugt». N<strong>at</strong>ürlich kann man Gott nicht<br />

beweisen, denn wie könnte z. B. eine Kleidermotte, die australische Wolle<br />

frißt, der anderen beweisen, daß es Australien gibt? Gottes Dasein hängt nicht<br />

<strong>von</strong> unseren Beweisen ab. Wie bin ich denn zu meiner Gewißheit Gottes gekommen?<br />

Man h <strong>at</strong>te mir ja in dieser Hinsicht alles mögliche erzählt, und doch<br />

konnte ich eigentlich nichts glauben. Nichts h<strong>at</strong>te mich überzeugt. Von da<br />

stammt meine Idee keineswegs. Und es war ja überhaupt keine Idee oder<br />

etwas Ausgedachtes. Es war nicht so, als ob man sich etwas vorgestellt und<br />

ausgedacht und nachher geglaubt hätte. Z. B. war mir die Geschichte mit dem<br />

«her Jesus» immer verdächtig vorgekommen, und ich habe sie nie wirklich<br />

geglaubt. Und doch h<strong>at</strong>te man sie mir mehr aufgedrängt als «Gott», der<br />

meistens nur im Hintergrund angedeutet wurde. Warum war mir Gott<br />

selbstverständlich? Warum tun diese Philosophen dergleichen, als ob Gott<br />

eine Idee sei, eine Art willkürlicher Annahme, die man «erzeugen» kann oder<br />

nicht, wo Er doch so offenkundig ist, wie wenn einem ein Ziegel auf den<br />

Kopf fällt?<br />

Damals wurde es mir plötzlich klar, daß Gott, für mich wenigstens, eine der<br />

allersichersten, unmittelbaren Erfahrungen war. Jene entsetzliche Geschichte<br />

mit dem Münster h<strong>at</strong>te ich doch nicht erfunden. Im Gegenteil, sie wurde mir<br />

aufgedrängt, und ich wurde mit größter Grausamkeit gezwungen, sie zu<br />

denken. Aber nachher wurde mir unaussprechliche Gnade zuteil.<br />

Ich kam zu dem Schluß, daß mit den Philosophen offenbar etwas nicht<br />

stimme, denn sie h<strong>at</strong>ten die kuriose Vorstellung, daß Gott gewissermaßen<br />

eine Annahme sei, die man diskutieren könne. Auch fand ich es höchst<br />

unbefriedigend, daß ich keine Ansichten über und keine Erklärung für die<br />

dunkeln T<strong>at</strong>en Gottes fand. Diese wären doch, wie mir schien, einer<br />

besonderen philosophischen Aufmerksamkeit und Betrachtung würdig. Sie<br />

stellen wirklich ein Problem dar, das, wie ich wohl verstand, den Theolo -<br />

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