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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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Die Auseinandersetzung mit dem Unbewußten<br />

Nach der Trennung <strong>von</strong> Freud h<strong>at</strong>te für mich eine Zeit innerer<br />

Unsicherheit, ja Desorientiertheit begonnen. Ich fühlte mich völlig<br />

suspendiert, denn ich h<strong>at</strong>te meinen eigenen Stand noch nicht gefunden. Vor<br />

allem lag es mir damals daran, eine neue Einstellung zu meinen P<strong>at</strong>ienten zu<br />

gewinnen. So beschloß ich, zunächst einmal voraussetzungslos abzuwarten,<br />

was sie <strong>von</strong> sich aus erzählen würden. Ich stellte also darauf ab, was der<br />

Zufall brachte. Bald zeigte es sich, daß sie spontan ihre <strong>Träume</strong> und<br />

Phantasien berichteten, und ich stellte lediglich ein paar Fragen: «Was fällt<br />

Ihnen dazu ein?» Oder: «Wie verstehen Sie das?» «Woher kommt das?» Aus<br />

den Antworten und Assozi<strong>at</strong>ionen ergaben sich die Deutungen wie <strong>von</strong> selber.<br />

Theoretische Gesichtspunkte ließ ich beiseite und war den P<strong>at</strong>ienten nur<br />

behilflich, die Bilder aus sich heraus zu verstehen.<br />

Schon nach kurzer Zeit erkannte ich, daß es richtig war, die <strong>Träume</strong> tel<br />

quel als Grundlage der Deutung zu nehmen, denn so sind sie gemeint. Sie<br />

sind die T<strong>at</strong>sache, <strong>von</strong> der wir auszugehen haben. N<strong>at</strong>ürlich ergab sich durch<br />

meine «Methode» eine fast unübersehbare Vielfalt <strong>von</strong> Aspekten. Mehr und<br />

mehr stellte sich das Bedürfnis nach einem Kriterium ein, fast möchte ich<br />

sagen: das Bedürfnis nach einer ersten und anfänglichen Orientierung.<br />

Damals erlebte ich einen Augenblick ungewöhnlicher Klarheit, in der ich<br />

meinen bisherigen Weg überschaute. Ich dachte: Jetzt besitzest du einen<br />

Schlüssel zur Mythologie und hast d ie Möglichkeit, alle Tore zur unbewußten<br />

menschlichen Psyche zu öffnen. Aber da flüsterte es in mir: «Warum alle<br />

Tore öffnen?» Und schon tauchte die Frage auf, was ich denn eigentlich<br />

zuwege gebracht hätte. Ich h<strong>at</strong>te die Mythen vergangener Völker erklärt, ich<br />

h<strong>at</strong>te ein Buch über den Helden geschrieben, über den Mythus, in dem der<br />

Mensch seit jeher lebte. «Aber in welchem Mythus lebt der Mensch heute?» -<br />

«Im christlichen Mythus, könnte man sagen.» -«Lebst du in ihm?» fragte es in<br />

mir. «Wenn ich ehrlich sein soll, nein! Es ist nicht der Mythus, in dem ich<br />

lebe.» - «Dann haben wir keinen Mythus mehr ?» - «Nein, offenbar haben wir<br />

keinen Mythus<br />

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