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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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mit blendendem Licht höher und höher stieg, sagte er, auf die Sonne deutend:<br />

«Ist nicht der, der dort geht, unser V<strong>at</strong>er? Wie kann man anderes sagen? Wie<br />

kann ein anderer Gott sein? Nichts kann ohne die Sonne sein.» Seine<br />

Erregung, die bereits merklich war, steigerte sich noch, er rang nach Worten<br />

und rief endlich aus:<br />

«Was will ein Mann allein in den Bergen? Er kann ja nicht einmal sein Feuer<br />

bauen ohne ihn.»<br />

Ich fragte ihn, ob er nicht dächte, die Sonne sei eine feurige Kugel, <strong>von</strong><br />

einem unsichtbaren Gott geformt. Meine Frage erregte nicht einmal<br />

Erstaunen, geschweige denn Unwillen. Es reagierte offensichtlich überhaupt<br />

nichts in ihm, auch fand er meine Frage nicht einmal dumm. Sie ließ ihn<br />

gänzlich kalt. Ich h<strong>at</strong>te das Gefühl, an eine unübersteigbare Wand gekommen<br />

zu sein. Die einzige Antwort, die ich erhielt, war: «Die Sonne ist Gott. Jeder<br />

kann es sehen.»<br />

Obschon sich niemand dem gewaltigen Eindruck der Sonne entziehen<br />

kann, war es mir doch eine neue und mich tief berührende Erfahrung, diese<br />

gereiften, würdigen Männer <strong>von</strong> einer Emotion ergriffen zu sehen, die sie<br />

nicht verbergen konnten, wenn sie <strong>von</strong> der Sonne sprachen.<br />

Ein anderes Mal stand ich am Fluß und schaute zum Berg hinauf, der sich<br />

noch fast 2000 Meter über die Hochebene erhebt. Ich dachte gerade, dies sei<br />

das Dach des amerikanischen Kontinentes, und die Leute wohnten hier im<br />

Angesicht der Sonne wie die Männer, die in Decken gehüllt auf den höchsten<br />

Dächern des Pueblo stehen, stumm und in sich versunken, im Angesicht der<br />

Sonne. Da sprach plötzlich eine tiefe, <strong>von</strong> heimlicher Emotion vibrierende<br />

Stimme <strong>von</strong> hinten in mein linkes Ohr: «Denkst du nicht, daß alles Leben<br />

vom Berge kommt ?» Ein älterer Indianer war auf unhörbaren Mokassins<br />

herangekommen und stellte mir diese - ich weiß nicht, wie weit reichende -<br />

Frage. Ein Blick auf den Fluß, der vom Berge herunterströmt, zeigte mir das<br />

äußere Bild, <strong>von</strong> dem diese Anschauung gezeugt war. Offenbar kam hier<br />

alles Leben vom Berge, denn wo Wasser ist, da ist Leben. Nichts war<br />

offenkundiger. Ich fühlte in seiner Frage eine mit dem Wort «Berg»<br />

anschwellende Emotion und dachte an das Gerücht über heimliche, auf dem<br />

Berge zelebrierte Riten. Ich antwortete ihm: «Jedermann kann sehen, daß du<br />

die Wahrheit sprichst.»<br />

Leider wurde die Unterhaltung bald unterbrochen, und so gelang es mir<br />

nicht, eine tiefere Einsicht in den Symbolismus des Wassers und des Berges<br />

zu gewinnen.<br />

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