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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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müßte ich ja gerade das tun, was mir unmöglich schien, nämlich meine<br />

<strong>Gedanken</strong> zu Ende denken. Sie war ja ahnungslos, die Gute, und konnte<br />

unmöglich wissen, daß ich in der größten Gefahr stand, die unverzeihliche<br />

Sünde zu begehen und mich in die Hölle zu stürzen. Ich verwarf den<br />

<strong>Gedanken</strong> an ein Geständnis und versuchte mich so unauffällig wie möglich<br />

zu verhalten.<br />

In der Nacht schlief ich schlecht; immer wieder versuchte sich der<br />

verbotene Gedanke, den ich nicht kannte, hervorzudrängen, und ich rang<br />

verzweifelt, ihn abzuwehren. Die nächsten zwei Tage waren qualvoll, und<br />

meine Mutter war überzeugt, daß ich krank sei. Ich widerstand der<br />

Versuchung zu beichten, wobei mir der Gedanke, daß ich durch Nachgeben<br />

meinen Eltern den größten Kummer bereiten würde, hilfreich war.<br />

In der dritten Nacht aber wurde die Qual so groß, daß ich nicht mehr<br />

wußte, was tun. Ich war aus unruhigem Schlaf erwacht und ertappte mich<br />

gerade noch dabei, wieder ans Münster und an den lieben Gott zu denken.<br />

Beinahe hätte ich weitergedacht! Ich fühlte, daß meine Widerstandskräfte<br />

nachließen. Ich schwitzte vor Angst und setzte mich im Bett auf, um den<br />

Schlaf abzuschütteln: «Jetzt kommt es, jetzt gilt es ernst! Ich muß denken.<br />

Das muß zuvor ausgedacht werden. Warum soll ich das denken, was ich nicht<br />

weiß? Ich will es bei Gott nicht, das steht fest. Aber wer will es? Wer will<br />

mich zwingen, etwas zu denken, das ich nicht weiß und nicht will? Woher<br />

kommt dieser furchtbare Wille? Und warum sollte gerade ich ihm<br />

unterworfen sein? Ich habe mit Lob und Preis an den Schöpfer dieser schönen<br />

Welt gedacht, ich war ihm dankbar für dieses unermeßliche Geschenk, und<br />

warum sollte gerade ich etwas unvorstellbar Böses denken ? Ich weiß es<br />

wirklich nicht, denn ich kann und darf mich ja nicht einmal in die Nähe dieses<br />

<strong>Gedanken</strong>s wagen, ohne zu riskieren, ihn sofort denken zu müssen. Das habe<br />

ich nicht gemacht und gewollt. Es ist an mich gekommen wie ein böser<br />

Traum. Woher kommen solche Dinge? Es ist mir passiert ohne mein Zutun.<br />

Wieso? Ich habe mich doch nicht selber geschaffen, sondern ich bin so auf die<br />

Welt gekommen, wie mich Gott gemacht h<strong>at</strong>, d. h. wie ich aus meinen Eltern<br />

zustandegekommen bin. Oder haben vielleicht meine Eltern solches gewollt?<br />

Meine guten Eltern hätten aber an so etwas überhaupt nie gedacht. So etwas<br />

Verruchtes wäre ihnen nie eingefallen.»<br />

Ich fand diese Idee geradezu lächerlich. Dann dachte ich an meine<br />

Großeltern, die ich nur <strong>von</strong> ihren Po rtraits her kannte. Sie<br />

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