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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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lassen und müsse zu rückkehren. Im Augenblick, als ich das vernommen h<strong>at</strong>te,<br />

hörte die Vision auf.<br />

Ich war zutiefst enttäuscht; denn jetzt schien alles umsonst. Der<br />

schmerzliche Prozeß der «Entblätterung» war vergebens gewesen, und ich<br />

durfte nicht in den Tempel, nicht zu den Menschen, die zu mir gehörten.<br />

In Wirklichkeit ging es noch gute drei Wochen, bis ich mich entschließen<br />

konnte, wieder zu leben. Ich konnte nicht essen, weil ich einen degout vor<br />

allen Speisen h<strong>at</strong>te. Die Aussicht auf Stadt und Berge <strong>von</strong> meinem<br />

Krankenbett aus erschien mir wie ein gemalter Vorhang mit schwarzen<br />

Löchern, oder wie ein zerlöchertes Zeitungsbl<strong>at</strong>t mit Photographien, die mir<br />

nichts sagten. Enttäuscht dachte ich: «Jetzt muß ich mich wieder in das<br />

.Kistchen-System' hineinbegeben!» Es schien mir nämlich, als ob hinter dem<br />

Horizont des Kosmos eine dreidimensionale Welt künstlich aufgebaut<br />

worden sei, in der jeder Mensch für sich allein in einem Kistchen säße. Und<br />

nun würde ich mir wieder einbilden müssen, das sei etwas wert! Das Leben<br />

und die ganze Welt kamen mir wie ein Gefängnis vor, und ich ärgerte mich<br />

maßlos darüber, daß ich das wieder in Ordnung finden würde. Da war man<br />

froh gewesen, daß endlich alles <strong>von</strong> einem abgefallen war, und nun war es<br />

wieder so, wie wenn ich - so wie alle anderen Menschen - an Fäden aufgehängt<br />

wäre in einem Kistchen drin. Als ich im Räume stand, war ich<br />

schwerelos, und nichts h<strong>at</strong>te mich gezogen. Und das sollte nun wieder vorbei<br />

sein!<br />

Ich fühlte Widerstände gegen meinen Arzt, weil er mich wieder in das<br />

Leben zurückgebracht h<strong>at</strong>te. Andererseits war ich besorgt um ihn: «Er ist ja<br />

bedroht, um Gottes Willen! Er ist mir ja in seiner Urgestalt erschienen! Und<br />

wenn einer diese Gestalt erreicht h<strong>at</strong>, ist es soweit, daß er sterben muß. Dann<br />

gehört er schon in die Gesellschaft »seiner Menschen'!» - Plötzlich kam mir<br />

der erschreckende Gedanke, er müsse sterben - an meiner Stelle! Ich gab mir<br />

die größte Mühe, mit ihm darüber zu reden, aber er verstand mich nicht. Da<br />

wurde ich böse auf ihn. «Warum tut er immer so, wie wenn er nicht wüßte,<br />

daß er ein Basileus <strong>von</strong> Kos ist? Und daß er schon seine Urgestalt<br />

angenommen h<strong>at</strong>? Er will mich glauben machen, er wisse es nicht!» Das<br />

ärgerte mich. Meine Frau machte mir Vorwürfe, daß ich ihm gegenüber<br />

unfreundlich sei. Sie h<strong>at</strong>te recht;<br />

aber ich nahm es ihm sehr übel, daß er nicht über all das sprechen<br />

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