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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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ten der M<strong>at</strong>erie, weshalb gewisse Gleichungen das Verhalten des Stoffes<br />

vorauszunehmen imstande sind.<br />

Ich möchte deshalb auch anderen als den m<strong>at</strong>hem<strong>at</strong>ischen (<strong>von</strong> N<strong>at</strong>ur her<br />

vorhandenen) Aussagen unseres Verstandes die Möglichkeit zubilligen, über<br />

sich selbst hinaus auf Realitäten unanschaulicher Art hinzuweisen. Ich denke<br />

bei solchen Aussagen z. B. an Phantasiebildungen, die sich des consensus<br />

omnium erfreuen oder die durch große Häufigkeit ihres Auftretens<br />

ausgezeichnet sind, und an die archetypischen Motive. Es gibt m<strong>at</strong>hem<strong>at</strong>ische<br />

Gleichungen, <strong>von</strong> denen man nicht weiß, welchen physischen Wirklichkeiten<br />

sie entsprechen; ebenso gibt es mythische Wirklichkeiten, und wir wissen<br />

zunächst nicht, auf welche psychischen Wirklichkeiten sie sich beziehen. Man<br />

h<strong>at</strong>te zum Beispiel Gleichungen aufgestellt, die die Turbulenz erhitzter Gase<br />

ordnen, längst bevor diese genau untersucht worden waren; seit noch viel<br />

längerer Zeit gibt es Mythologeme, die den Ablauf gewisser unterschwelliger<br />

Vorgänge ausdrücken, aber erst heute können wir sie als solche erkennen.<br />

Der Grad <strong>von</strong> Bewußtheit, der irgendwo schon erreicht ist, bildet, wie mir<br />

scheinen will, die obere Grenze dessen, was auch die Toten an Erkenntnis<br />

erreichen können. Darum ist wohl das irdische Leben <strong>von</strong> so großer<br />

Bedeutung und das, was ein Mensch beim Sterben «hinüberbringt», so<br />

wichtig. Nur hier, im irdischen Leben, wo die Gegensätze zusammenstoßen,<br />

kann das allgemeine Bewußtsein erhöht werden. Das scheint die<br />

metaphysische Aufgabe des Menschen zu sein, die er aber ohne<br />

«mythologein» nur teilweise erfüllen kann. Der Mythus ist die<br />

unvermeidliche und unerläßliche Zwischenstufe zwischen dem Unbewußten<br />

und der bewußten Erkenntnis. Es steht fest, daß das Unbewußte mehr weiß als<br />

das Bewußtsein, aber es ist ein Wissen besonderer Art, ein Wissen in der<br />

Ewigkeit, meist ohne Beziehung auf das Hier und Jetzt, ohne Rücksicht auf<br />

unsere Verstandessprache. Nur wenn wir seiner Aussage Gelegenheit geben,<br />

sich zu amplifizieren, wie oben am Beispiel der Zahlen gezeigt, gerät sie in<br />

die Reichweite unseres Verständnisses, und ein neuer Aspekt wird uns<br />

wahrnehmbar. Dieser Vorgang wiederholt sich bei jeder gelungenen<br />

Traumanalyse in überzeugender Weise. Darum ist es so wichtig, keine<br />

vorgefaßten doktrinären Meinungen über Traumaussagen zu haben. Sobald<br />

eine gewisse «Monotonie der Deutung» auffällt, weiß man, daß die Interpret<strong>at</strong>ion<br />

doktrinär und daher unfruchtbar geworden ist,<br />

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