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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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ein - auf eine Gruppe junger Bauern weisend, die mit offenen Mäulern die<br />

Herrlichke iten eben bewunderten - daß diese jungen Leute wohl kaum im<br />

Begriffe der Vergeistigung stünden, sondern sich eher ihren Kopf mit<br />

sexuellen Phantasien füllten, worauf er entgegnete: «Aber das ist es ja gerade.<br />

Wie können sie sich je vergeistigen, wenn sie nicht zuvor ihr Karma erfüllen?<br />

Die zugegeben obszönen Bilder sind ja dazu da, die Leute an ihr Dharma<br />

(Gesetz) zu erinnern, sonst könnten diese Unbewußten es vergessen!»<br />

Ich fand es höchst merkwürdig, daß er glaubte, junge Männer könnten ihre<br />

Sexualität vergessen, wie Tiere außerhalb der Brunstzeit. Mein Weiser aber<br />

hielt unentwegt daran fest, daß sie unbewußt wie Tiere seien und t<strong>at</strong>sächlich<br />

eindringlicher Ermahnung bedürften. Zu diesem Zwecke würden sie vor dem<br />

Betreten des Tempels durch dessen Außendekor<strong>at</strong>ion auf ihr Dharma<br />

aufmerksam gemacht, ohne dessen Bewußtmachung und Erfüllung sie keiner<br />

Vergeistigung teilhaft würden.<br />

Als wir durch das Tor des Tempels schritten, wies mein Begleiter auf die<br />

beiden «Versucherinnen» hin, die Skulpturen <strong>von</strong> zwei Tänzerinnen, die mit<br />

verführerisch geschwungenen Hüften den Eintretenden anlächelten. «Sehen<br />

Sie diese beiden Tänzerinnen», sagte er. «Sie bedeuten dasselbe. N<strong>at</strong>ürlich<br />

gilt dies nicht für Leute wie Sie und ich, denn wir haben eine Bewußtheit<br />

erreicht, die darüber steht. Aber für diese Bauernjungen ist es eine unerläßliche<br />

Belehrung und Ermahnung.»<br />

Als wir den Tempel verließen und einer Lingamallee entlang spazierten,<br />

sagte er plötzlich: «Sehen Sie diese Steine? Wissen Sie, was sie bedeuten ?<br />

Ich will Ihnen ein großes Geheimnis verr<strong>at</strong>en!» Ich war erstaunt, denn ich<br />

dachte, daß die phallische N<strong>at</strong>ur dieser Monumente jedem Kind bekannt sei.<br />

Er aber flüsterte mir mit größtem Ernst ins Ohr: «These stones are man's<br />

priv<strong>at</strong>e parts.» Ich h<strong>at</strong>te erwartet, er würde mir sagen, daß sie den großen Gott<br />

Shiva bedeuteten. Ich sah ihn entgeistert an, er aber nickte gewichtig, wie<br />

wenn er sagen wollte: «Ja, so ist es. Das hättest du in deiner europäischen<br />

Ignoranz wohl nicht gedacht!»<br />

Als ich Zimmer diese Geschichte erzählte, rief er entzückt aus:<br />

«Endlich höre ich einmal etwas Wirkliches <strong>von</strong> Indien s !»<br />

Unvergeßlich sind für mich die Stupas <strong>von</strong> Sanchi. Sie ergriffen 1 Über<br />

Heinrich Zimmer vgl. Appendix pag. 385 f.<br />

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