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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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sich langsam entwickelt und sei dann plötzlich einmal im Traume<br />

durchgebrochen. Das war auch offensichtlich der Fall. Aber dies ist keine<br />

Erklärung, sondern eine bloße Beschreibung. Die eigentliche Frage ist<br />

nämlich, warum dieser Prozeß st<strong>at</strong>tgefunden h<strong>at</strong>te und warum er ins<br />

Bewußtsein durchgebrochen war. Ich h<strong>at</strong>te ja im Bewußtsein nichts getan, um<br />

diese Entwicklung zu unterstützen, sondern meine Symp<strong>at</strong>hien waren auf der<br />

anderen Seite. Da muß doch irgend etwas hinter den Kulissen am Werke sein,<br />

etwas Intelligentes, jedenfalls etwas Intelligenteres als ich; denn auf die<br />

geniale Idee, daß das innere Lichtreich im Lichte des Bewußtseins ein<br />

riesengroßer Sch<strong>at</strong>ten ist, wäre ich nicht verfallen. Jetzt verstand ich auf<br />

einmal vieles, das mir früher unerklärlich gewesen war: nämlich jenen kalten<br />

Sch<strong>at</strong>ten des Befremdet- und Fremdseins, welcher jeweils auf die Leute fiel,<br />

wenn ich auf irgendetwas anspielte, das an das innere Reich erinnerte.<br />

Ich mußte Nr. 2 hinter mir lassen, das war mir klar, aber unter keinen<br />

Umständen durfte ich ihn vor mir selber verleugnen oder ihn gar als ungültig<br />

erklären. Das wäre Selbstverstümmelung gewesen, und überdies hätte dann<br />

überhaupt keine Möglichkeit mehr bestanden, die Herkunft der <strong>Träume</strong> zu<br />

erklären. Es bestand kein Zweifel für mich, daß Nr. 2 etwas mit der<br />

Erzeugung <strong>von</strong> <strong>Träume</strong>n zu tun h<strong>at</strong>te, und die geforderte höhere Intelligenz<br />

war ihm leicht zuzutrauen. Ich selber fühlte mich in zunehmendem Maße<br />

identisch mit Nr. l, und dieser Zustand erwies sich als ein bloßer Teil des viel<br />

umfänglicheren Nr. 2, mit dem ich mich aus eben diesem Grunde nicht mehr<br />

identisch fühlen konnte. Nr. 2 war in der T<strong>at</strong> ein «Gespenst», das heißt ein<br />

Geist, der an Macht dem Weltdunkel gewachsen war. Das h<strong>at</strong>te ich vordem<br />

nicht gewußt, und es war mir auch damals, wie ich rückschauend feststellen<br />

kann, nur undeutlich, wenn schon im Gefühl unwidersprechlich bewußt.<br />

Auf alle Fälle war ein Schnitt zwischen mir und Nr. 2 geschehen, der mich<br />

Nr. l zuteilte und im selben Maße mich <strong>von</strong> Nr. 2 abtrennte. Nr. 2 wurde<br />

wenigstens andeutungsweise zu einer gewissermaßen autonomen<br />

Persönlichkeit. Ich verband damit keine Vorstellung einer bestimmten<br />

Individualität, wie etwa die eines Re -venant, obschon mir kraft meiner<br />

ländlichen Herkunft eine derartige Möglichkeit durchaus annehmbar gewesen<br />

wäre. Auf dem Lande nämlich glaubt man diese Dinge je nachdem - sie sind<br />

und sind nicht.<br />

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