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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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tasien nicht fassen. - Es gab aber noch einen anderen Grund für meine<br />

Gewissenhaftigkeit: das Geschriebene konnte die Anima nicht verdrehen, sie<br />

konnte keine Intrigen daraus spinnen. In dieser Beziehung macht es einen<br />

gewaltigen Unterschied, ob man lediglich im Sinn h<strong>at</strong>, etwas zu erzählen,<br />

oder ob man es wirklich niederschreibt. In meinen «Briefen» versuchte ich, so<br />

ehrlich wie möglich zu sein, der alten griechischen Weisung folgend: «Gib<br />

weg <strong>von</strong> dir, was du besitzest, und du wirst empfangen.»<br />

Nur allmählich lernte ich, zwischen meinen <strong>Gedanken</strong> und den Inhalten<br />

der Stimme zu unterscheiden. Wenn sie mir z. B. Banalitäten unterschieben<br />

wollte, sagte ich: «Das ist richtig, so habe ich früher einmal gedacht und<br />

gefühlt. Aber ich bin nicht verpflichtet, mich bis an mein Lebensende dabei<br />

behaften zu lassen. Wozu diese Demütigung?»<br />

Worauf es vor allem ankommt, ist die Unterscheidung zwischen dem<br />

Bewußtsein und den Inhalten des Unbewußten. Diese muß man sozusagen<br />

isolieren, und das geschieht am leichtesten, indem man sie personifiziert und<br />

dann vom Bewußtsein her einen Kontakt mit ihnen herstellt. Nur so kann<br />

man ihnen die Macht entziehen, die sie sonst auf das Bewußtsein ausüben.<br />

Da die Inhalte des Unbewu ßten einen gewissen Grad <strong>von</strong> Autonomie<br />

besitzen, bietet diese Technik keine besonderen Schwierigkeiten. Etwas ganz<br />

anderes ist es, sich überhaupt mit der T<strong>at</strong>sache der Autonomie unbewußter<br />

Inhalte zu befreunden. Und doch liegt gerade hierin die Möglichkeit , mit dem<br />

Unbewußten umzugehen.<br />

In Wirklichkeit übte die P<strong>at</strong>ientin, deren Stimme in mir sprach, einen<br />

verhängnisvollen Einfluß auf Männer aus. Es war ihr gelungen, einem<br />

Kollegen <strong>von</strong> mir einzureden, er sei ein mißverstandener Künstler. Er h<strong>at</strong>'s<br />

geglaubt und ist daran zerbrochen. Die Ursache für sein Versagen ? Er lebte<br />

nicht aus seiner eigenen Anerkennung, sondern <strong>von</strong> der Anerkennung der<br />

anderen. Das ist gefährlich. Es h<strong>at</strong> ihn unsicher und den Insinu<strong>at</strong>ionen der<br />

Anima zugänglich gemacht; denn was sie sagt, ist oft <strong>von</strong> einer<br />

verführerischen Kraft und einer abgründigen Schlauheit.<br />

Wären mir die Phantasien des Unbewußten als Kunst erschienen, so hätte<br />

ich sie mit meinem inneren Auge betrachten oder wie einen Film abrollen<br />

sehen können. Es hätte ihnen nicht mehr Überzeugungskraft innegewohnt als<br />

irgendeiner Sinneswahrnehmung, und eine ethische Verpflichtung ihnen<br />

gegenüber wäre mir nicht erwachsen. Die Anima hätte auch mir einreden<br />

können, ich<br />

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