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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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etwas Unangenehmes sagen mußte. Wütend sprang sie auf und drohte, mich<br />

zu schlagen. Ich war auch aufgesprungen und sagte zu ihr: «Gut, Sie sind die<br />

Dame, Sie hauen zuerst - Ladies first! Aber dann haue ich!» - und meinte es<br />

auch. Sie fiel in ihren Stuhl zurück und sank direkt zusammen. «Das h<strong>at</strong> mir<br />

noch niemand gesagt», klagte sie. Aber <strong>von</strong> diesem Augenblick an wurde die<br />

Therapie erfolgreich.<br />

Was diese P<strong>at</strong>ientin brauchte, war die männliche Reaktion. In diesem Falle<br />

wäre es ganz falsch gewesen, «mitzugehen». Das hätte ihr gar nichts genützt.<br />

Sie h<strong>at</strong>te eine Zwangsneurose, weil sie sich moralisch nicht selber<br />

beschränken konnte. Solche Leute werden <strong>von</strong> der N<strong>at</strong>ur beschränkt - eben<br />

durch die Zwangssymptome.<br />

Ich habe vor Jahren einmal eine St<strong>at</strong>istik angefertigt über die Result<strong>at</strong>e<br />

meiner Behandlungen. Genau weiß ich die Zahlen nicht mehr, aber vorsichtig<br />

gesagt waren ein Drittel wirklich geheilt, ein Drittel weitgehend gebessert und<br />

ein Drittel nicht wesentlich beeinflußt. Aber gerade die nicht gebesserten<br />

Fälle sind schwer zu beurteilen, weil manches erst nach Jahren realisiert und<br />

verstanden wird und auch dann erst wirken kann. Wie oft ist es mir passiert,<br />

daß ehemalige P<strong>at</strong>ienten mir schrieben: «Ich habe erst zehn Jahre, nachdem<br />

ich bei Ihnen gewesen bin, realisiert, was eigentlich gewesen ist.»<br />

Ich habe wenige Fälle gehabt, die mir da<strong>von</strong>gelaufen sind, ganz selten<br />

mußte ich einen P<strong>at</strong>ienten fortschicken. Aber auch darunter gab es einige, die<br />

mir später positive Berichte schickten. Darum ist die Beurteilung des Erfolges<br />

einer Behandlung oft schwierig.<br />

Im Leben eines Arztes ist es eine Selbstverständlichkeit, daß ihm in seiner<br />

praktischen Tätigkeit Menschen begegnen, die auch für ihn selber <strong>von</strong><br />

Bedeutung sind. Er begegnet Persönlichkeiten, welche zu ihrem Glück oder<br />

Unglück nie das Interesse der Öffentlichkeit erregt und trotzdem oder gerade<br />

deshalb ein ungewöhnliches Ausmaß besitzen, oder Entwicklungen und<br />

K<strong>at</strong>astrophen durchlaufen haben, die ihresgleichen suchen. Manchmal sind es<br />

außergewöhnliche Begabungen, für die ein anderer in unerschöpflichem<br />

Enthusiasmus sein ganzes Leben opfern könnte, die aber in eine so seltsam<br />

ungünstige psychische Disposition eingepflanzt sind, daß man nicht weiß, ob<br />

man es mit einem Genie oder einer fragmentarischen Entwicklung zu tun h<strong>at</strong>.<br />

Nicht selten auch blühen<br />

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