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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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Rückblick 1<br />

Wenn man sagt, ich sei weise oder ein «Wissender», so kann ich das nicht<br />

akzeptieren. Es h<strong>at</strong> einmal Einer einen Hut voll Wasser aus einem Strom<br />

geschöpft. Was bedeutet das schon ? Ich bin nicht dieser Strom. Ich bin an<br />

dem Strom, aber ich mache nichts. Die anderen Menschen sind an demselben<br />

Strom, aber meist finden sie, sie selber müßten es machen. Ich mache nichts.<br />

Ich denke nie, ich sei es, der dafür sorgen müsse, daß die Kirschen Stiele<br />

bekommen. Ich stehe da, bewundernd, was die N<strong>at</strong>ur vermag.<br />

Es gibt eine schöne alte Legende <strong>von</strong> einem Rabbi, zu dem ein Schüler kam<br />

und fragte: «Früher gab es Menschen, die Gott <strong>von</strong> Angesicht gesehen haben;<br />

warum gibt es sie heute nicht mehr ?» Da antwortete der Rabbi: «Weil sich<br />

heute niemand mehr so tief buk-ken kann.» Man muß sich schon etwas<br />

bücken, um aus dem Strom zu schöpfen.<br />

Der Unterschied zwischen den meisten anderen Menschen und mir liegt<br />

darin, daß bei mir die «Zwischenwände» durchsichtig sind. Das ist meine<br />

Eigentümlichkeit. Bei anderen sind sie oft so dicht, daß sie nichts dahinter<br />

sehen und darum meinen, es sei auch gar nichts da. Ich nehme die Vorgänge<br />

des Hintergrundes einigermaßen wahr, und darum habe ich die innere<br />

Sicherheit. Wer nichts sieht, h<strong>at</strong> auch keine Sicherheit und kann keine<br />

Schlüsse ziehen, oder traut den eigenen Schlüssen nicht. Ich weiß nicht, was<br />

es ausgelöst h<strong>at</strong>, daß ich den Strom des Lebens wahrnehmen kann. Es war<br />

wohl das Unbewußte selber. Vielleicht waren es die frühen. <strong>Träume</strong>. Sie<br />

haben mich <strong>von</strong> Anfang an bestimmt.<br />

Das Wissen um die Vorgänge des Hintergrundes h<strong>at</strong> meine Beziehung zur<br />

Welt schon früh vorgebildet. Im Grunde genommen war sie bereits in meiner<br />

Kindheit so, wie sie noch heute ist. Als Kind fühlte ich mich einsam, und ich<br />

bin es noch heute, weil ich Dinge weiß und andeuten muß, <strong>von</strong> denen die<br />

anderen anscheinend nichts wissen und meistens auch gar nichts wissen<br />

wollen. Einsamkeit entsteht nicht dadurch, daß man keine Menschen um sich<br />

h<strong>at</strong>,<br />

* Vgl. Appendix pag. 375 f.<br />

357

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